piwik no script img

Bremen: Keine Sozialhilfe am Wochendende

■ Nur noch Essen und Unterkunft für Nichtseßhafte / Maßnahme gegen „Sozialhilfe-Tourismus“

Nichtseßhaften müßte man jetzt eigentlich raten, einen Bogen um Bremen zu machen, sofern ihr Weg zufällig am Wochenende in die Hansestadt führen würde. Denn seit drei Wochen können sie die HLU, die „Hilfe zum Lebensunterhalt“, die ihnen per Bundessozialhilfegesetz auf den Tag umgerechnet zusteht, in Bremen nicht mehr bekommen. 14 Mark sind dies pro Tag, die ihnen wochentags von den Sozialämtern bar ausgezahlt werden. Am Wochenende hatte bisher (seit 1986) das Jakobushaus, eine Einrichtung der Inneren Mission mit Heim und Übernachtungsplätzen für Nichtseßhafte, diese Aufgabe übernommen - gemäß einer Abmachung mit der senatorischen Behörde.

Seit Ende letzten Monats jedoch versorgt das Jakobushaus die Durchreisenden am Wochenende lediglich mit Essen für den Tag, wenn es erforderlich ist auch noch mit einer Übernachtungsmöglichkeit, erklärt Gertrud Janzer-Bertzbach, Referentin für wirtschaftliche Hilfen beim Sozialsenator. Grund für diese stadt

bremische Absprache zwischen Behörde und Jakobushaus: „Zunehmender Sozialhilfe-Tourismus“ (Janzer-Bertzbach), der „organisatorisch nicht mehr zu bewältigen“ sei.

Beleg dafür: Bis Mai seien in diesem Jahr bereits über 8.000 Mark Erstattung für Wochenend-Auszahlungen ans Jakobushaus gezahlt worden, 1989 seien es dagegen nur insgesamt 3.300 Mark gewesen. „Die Leute müssen ihren Reiserhythmus danach richten, daß es am Wochenende in Bremen kein Geld mehr gibt“, meint die Referentin, zumal sich Bremen „unter der Woche“ eigentlich „großzügig“ zeige. Denn mit dieser neuen Verfahrensweise passe sich die Hansestadt lediglich den Gepflogenheiten anderer Regionen an, die meistens generell nur Gutscheine und Wertmarken ausgäben.

Eine kleine Umfrage der taz zeigte jedoch: In Oldenburg, Varel, Delmenhorst und Wilhelmshaven werden in Sozialämtern oder den entsprechenden zuständigen Stellen die 14 Mark Tagessatz freitags oder am Wochenen

de ausgezahlt. In Wilhelmshaven allerdings wird im Übernachtungfall den Durchreisenden Übernachtung, gegebenenfalls Frühstück von der Barauszahlung abgezogen.

Werner Hellemann, Leiter der Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose (Nichtseßhafte) beim Diakonischen Werk in Oldenburg, wo täglich rund 50 Nichtseßhafte anklopfen (davon die Hälfte „überörtlich“): „Bundesweit hat sich ein Trend zur Bargeldauszahlung weg von der Gutscheinpraxis durchgesetzt. Wir haben in Oldenburg im vergangenen Jahr 2.342 Tagessätze ausgezahlt ( DM 32.788). Bis jetzt hat es auch noch keine Klagen, z.B. wegen Doppelauszahlung o.ä. ergeben. Wenn alle Behörden im Umland sich daran halten, gibt es keine Schwierigkeiten.“

Die Auszahlung in den Beratungsstellen sei eine Chance, Hilfen beweglicher zu machen, Beratungsschwellen herabzuschrauben - wenn auch der Zeitaufwand enorm sei und der Beratung verloren gehe. „Aber das

muß uns die Belastung wert sein“, sagt Hellemann. Winfried Brinkmann, im Amt für Soziale Dienste in Bremen für die Heimhilfe zuständig, erklärte gestern auf die Frage nach Hilfen für Nichtseßhafte am Wochenende lediglich: „Wir zahlen aus, wo es unumgänglich ist.“

In einem Brief an die Sozialbehörde (er liegt der taz vor), hatte Kurt Huuk, Leiter des Jakobushauses ausgeführt: „Erfahrungen haben gezeigt, daß mit den Auszahlungen lediglich der Alkoholismus subventioniert wird. Die Mitarbeiter sind nicht mehr bereit, den am Wochenende geleisteten Notdienst dafür immer mehr in Anspruch zu nehmen...

Es ist nicht vertretbar, daß Hilfesuchende, die eine Betreuung erwünschen, abgewiesen oder vertröstet werden müssen, weil die Mitarbeiter überwiegend mit Auszahlungen von HLU und der Schlichtung von Streitigkeiten alkoholisierter Zahlungsempfänger beschäftigt sind.“

Daß in Bremen am Wochenende lediglich Verpflegung und Unterkunft sichergestellt werden, kommentiert ein Mitarbeiter der Behörde: „Der Sozialhilfesatz umfaßt mehr als reines Essen.“ Dieses bremische Zwischenlösung sei ein „unbefriedigender Kompromiß“ zwischen „Verweigerung der Hilfe und Befriedigung des Rechtsanspruchs.“

ra

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen