Braunkohleprotest bei Garzweiler: Warten auf die neue Abrisskante

Im Dorf Lützerath bereiten sich AktivistInnen darauf vor, dass Fahrzeuge zum Abholzen und Abreißen anrücken. Am Horizont stehen Windräder – still.

Igluzelte auf einer grünen Wiese zwischen Bäume

Zelten gegen die anrückenden Kohlebagger: Protestcamp in Lützerath Foto: Martin Meissner/ap

LÜTZERATH taz | Gelbe Stühle, überall gelb gekleidete Menschen, gelbe Plakate, Schirme und Bänder, große gelbe Holzkreuze auf den Wegen. Lützerath, der kleine Restweiler am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler II bei Mönchengladbach, war am Wochenende noch gelber dominiert als sonst. Am letzten bewohnten Gehöft hängt seit Freitagmorgen ein 15 Meter breites Banner, weithin sichtbar aufgehängt von Greenpeace: „1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt!“ Auch das in leuchtendem gelb.

Freitag, der 1. Oktober, war ein wichtiges Datum, denn ab sofort ist es naturschutzrechtlich erlaubt zu roden. Jeden Moment können die Kommandos des Kohlekonzerns RWE-anrücken für neue Kahlschläge. Und so hatte die Klimaszene mobilisiert, der Kohle-Widerstand gehe jetzt in eine entscheidende Phase.

Begonnen hatte das Wochenende mit der Aktion „Platz nehmen“: großes Picknick ganz in gelb zwischen dem Restweiler Lützerath und der Grubenkante gleich daneben. Genau hier, sagen die KlimaschützerInnen, verläuft Deutschlands 1,5-Grad-Grenze. Ein Barde sang den Heimatdieben entgegen: „Egal was ihr treibt, Lützi bleibt.“ Dann ließ eine zehnköpfige Percussionformation Samba-Rhythmen über die niederrheinischen Weiten schweben. Zweihundert Leute hatten Platz genommen.

Wenn Lützerath zum neuen Symbolort gegen die Klimavernichtung durch Kohle geworden ist, ist Eckardt Heukamp die aktuelle Symbolfigur: ein ruhiger, wortkarger Mann, kariertes Hemd, Arbeitsjacke. Der Landwirt lebt allein auf seinem großen Lützerather Familienhof aus dem 18. Jahrhundert. Er verkauft sein Anwesen nicht. Bis zum 1. November soll er enteignet werden, jeden Tag droht das „vorzeitige Inbesitznahmeverfahren“. Raus!, hieße das, sofort.

Der Bauer wartet auf Post

Heukamps Anwälte haben Gutachten in Auftrag gegeben und geklagt, Kosten bislang: 90.000 Euro. Täglich, erzählt Heukamp, gucke er unruhig in seinen Briefkasten, „ob es Post vom zuständigen Verwaltungsgericht Aachen gibt“. Seine Hoffnung: Eine einstweilige Verfügung. Dann muss RWE draußen bleiben. Am Wochenende wieder keine Post, aber: „Ich bleibe guter Hoffnung.“ Die wenigen verbliebenen Häuser um seinen Hof herum gehören längst RWE, sie sind abgezäunt, rund um die Uhr wachen dort eisgesichtige Sicherheitskräfte mit Hunden.

Auf dem mehrere Fußballfelder großen Areal hinter Heukamps Hof sieht man eine weite Wiese, ein Wäldchen, und ein paar alte Nebengebäude. Hier haben hunderte Menschen Quartier bezogen: in vielen Dutzend Zelten, rund 20 Baumhäusern, in vier alten Nebengebäuden. Heukamp hat ihnen vor Monaten schon die rechtzeitige Inbesitznahme erlaubt. So hat er jetzt statt eigener Kinder hunderte Patenkinder. „Die vielen Menschen zeigen, dass ich nicht allein bin. Das macht Mut.“ Seit ein paar Wochen lebt auch Carola Rackete hier, die aufsässige Kapitänin der Sea Watch III.

Mit ihr wohnt hier eine bunte Melange: Leute, die sich den Kli­mak­ti­vis­t:in­nen von Extinction Rebellion zugehörig fühlen oder den Braun­kohl­geg­ne­r:innn von Ende Gelände oder niemandem direkt. Man übt das Klettern, baut neue Baumhäuser, veranstaltet Skill Share Workshops, lebt ein anderes Leben. Mittig auf der Wiese steht ein großes buntes Zirkuszelt, für die täglichen Meetings. Vor einer Woche freute man sich über den Besuch von Greta Thunberg.

Ende Gelände hat längst weitere Blockaden in Lützerath angekündigt. Ansonsten gilt: warten und vorbereiten auf den Tag X. Alle wissen, dieses Terrain wäre deutlich schneller überrant als es bei der illegalen Räumung des unwegsamen, dichten Hambacher Waldes 2018 der Fall war. Nachbarn aus den fünf anderen bedrohten Dörfern kommen vorbei, zum Beispiel mit Lebensmitteln. Oder Besetzer von „Unser aller Wald“ mitten in Keyenberg, ein Dorf weiter.

LKW bringen Absperrgitter

Gerade als man mittags bei veganer Linsensuppe saß, waren vor Heukamps Hof plötzlich zwei Klein-LKW angefahren gekommen, beladen mit dutzenden Absperrgittern und Betonklötzen. Sie wollten an der gelben Meute und ihrer genehmigten Demonstration vorbeifahren. Nix da, sofort stellten und setzten sich Leute in den Weg. Die Fahrzeuge waren eingekesselt. Einer der Fahrer behauptete kess, man habe sich verfahren und wollte eigentlich in das Braunkohleloch. Nur, was sollen in der weiten Wüste unten die niedlichen Gitter?

Zwei schwarz vermummte Menschen nahmen auf dem Dach eines der LKW Platz, während die Fahrer aufgeregt telefonierten. Herbeigeeilte Wiesenbewohner entluden derweil die komplette Fracht und bauten daraus einen Zaun rund um die Fahrzeuge. Als erstaunlich spät zwei Polizeiwannen kamen, durften die Fahrer die Zäune wieder einsammeln, aufladen und unverrichteter Dinge davonfahren.

Schon vor dem Morgengrauen hatten tief unten im Tagebau zwei Dutzend Menschen der bislang unbekannten Formation „Gegenangriff. Für das Gute Leben“ drei der Riesenbagger besetzt. Das blieb zunächst unsichtbar. Ein Boulevard-Fotograf maulte: „Auch mit 800er Tele, keine Chance, Sohle 4, siehste nichts.“ Im Laufe des Tages tauchten in den sozialen Netzwerken Bilder und Filme der BesetzerInnen auf. Die Polizeikräfte („Kletter Cops“) hatten Mühe, die angeketteten Aktivisti aus den 60 Meter holen Baggerstreben herunterzuholen. Erst am späten Freitagabend war Schluss. Es war mit gut 16 Stunden die vermutlich längste Baggerbesetzung der Geschichte geworden.

22 der Gegenangreifer wurden vorläufig festgenommen und in Aachen während der Nacht erkennungsdienstlich behandelt. Bei 14 von ihnen war die Identifizierung wegen manipulierter Fingerkuppen nicht möglich. Das Amtsgericht erließ Haftbefehl für, so die Polizei, „ein längerfristiges Gewahrsam“, um ihre Identität noch zu ermitteln. RWE hat wie üblich Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt. Die 14 sitzen jetzt ein, seit Samstagabend auf acht Orte in NRW verteilt. Die Empörung der Aktivisti draußen ist groß, eine Woche Gewahrsam lässt das Polizeigesetz NRW zu.

Kaum 500 Meter nördlich von Lützerath arbeitete sich am Wochenende ein Schaufelradbagger gleich an der Oberfläche gut sichtbar voran, als wollte er einen Keil graben zwischen dem Ort und den anderen Dörfern drei, vier Kilometer nördlich. Klar, eine gezielte Provokation. Am Samstag war dann die Regionalgruppe des Polit-Orchesters Lebenslaute auf das abgesperrte Gebiet bis zum Bagger vorgedrungen und hatte ein „Andante an der Kante“ gegeben: Geigen, Flöten und Gesang direkt vor dem Bagger, den die Lebenslautner jetzt als „fotogen platziert“ für ihre Bilder und Klänge uminterpretierten.

Disput über Zellentüren

Im August waren gut zwei Dutzend Ensemblemitglieder von Lebenslaute, darunter 14 Frauen und ein 75-Jähriger, nach einem Konzert („Triole gegen Kohle“) tief unten im Braunkohleloch festgenommen und ebenfalls stundenlang im Aachener Polizei-Präsidium erkennungsdienstlich behandelt worden. Damals hatten einzelne Frauen empört erklärt, sie seien bei der Nacktkontrolle durch nicht geschlossene Zellentüren von männlichen Beamten womöglich begafft worden.

Unabhängig davon haben die MusikerInnen Strafanzeige gegen RWE-Sicherheitsleute wegen vorsätzlicher Körperverletzung beim Konzert im Tagebau eingereicht. Es lägen sehr detaillierte Filmaufnahmen vor. Auch am Wochenende berichteten Besetzer von „Gegenangriff – für das Gute Leben“ von brutalen Übergriffen der RWE-Leute tief im Loch.

Das Dorf und das Weltklima

Greenpeace-Sprecher Bastian Neuwirth erklärte derweil im gelben Dorf kurz und knapp: „In Lützerath entscheidet sich Paris.“ Wenn die 900.000 Millionen Tonnen Braunkohle im Tagebau Garzweiler wirklich noch verfeuert würden, sei die im Jahr 2015 bei der Pariser Klimakonferenz vereinbarte 1,5-Grad-Grenze nicht mehr zu halten. Und er vermutete: „RWE will im Windschatten der Koalitionsverhandlungen in Berlin schnell Fakten schaffen.“

Womöglich ist es kurzfristig genau umgekehrt. Aachens Polizeichef Dirk Weinspach teilte mit: „Das Polizeipräsidium Aachen, das für Klimaproteste im Rheinischen Revier eine Aufgabenübertragung hat, plant auf absehbare Zeit keine Einsätze zur Absicherung von Abbruch- und Rodungsarbeiten, da keine Vollzugshilfeersuche vorliegen.“ Das hieße: Angeblich hat RWE kurzfristig nichts vor.

Die naheliegende Vermutung: Die NRW-Regierung hat ihren Abriss-Partner RWE um Geduld gebeten hat. Noch-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will keine zusätzlichen Angriffsflächen bieten bei seinen letzten Zuckungen Richtung Kanzleramt. Rodungen kann man im Dezember noch genauso gut erledigen, zumal es deutlich weniger wegzuholzen gibt als Jahr und Jahr in Hambach.

Windräder stehen still

Wenn man in Lützerath den Blick über die Landschaft schweifen lässt, sind rundum gut hundert Windräder zu sehen, die übrigens auch RWE Power gehören. Nun blies am Wochenende im Rheinland ein stetiger und ergiebiger Wind. Trotzdem standen, wie so oft, die Hälfte der Turbinen still. Nicht weil sie kaputt wären. Sie sind ausgeschaltet, weil die Braunkohleverstromung ununterbrochen läuft. Die Steinzeittechnologie lässt sich nicht einfach unterbrechen, stattdessen ruhen halt die Windräder, weil das Netz gesättigt ist.

So verhindert der Braunkohleabbau sehr direkt, Tag um Tag, Stunde um Stunde, die Nutzung der Erneuerbaren. Und arbeitet sich unermüdlich näher an 1,6 Grad folgende.

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