Braunkohleabbau in der Lausitz: Im Land der Riesenbagger
Silke Butzlaff fährt einen dieser Bagger, die Kohle aus dem Tagebau holen. Rebekka Schwarzbach ist Klimaaktivistin in der Region. Aber geht da trotzdem was zusammen?
S ilke Butzlaff kommt aus ihrem Haus, bereit, ihre Gegend zu zeigen – ihre, wie sie sagt, „Heimat, die ich so nenne, ich hab hier ja immer gelebt“. Ihre Siedlung heißt, funktional zutreffend und ohne Beschönigung, „Bereitschaftssiedlung“. Der Fußweg zur Schicht beträgt sechs Minuten. Dort macht sie sich für ihren Bagger zurecht. Es ist heiß heute, deshalb hat Butzlaff Getränke mitgebracht, angemessen eiskalt, und „dann geht’s mal los“. Sie ist Lausitzerin, genauer gesagt: hier in Schwarze Pumpe, Ortsteil von Spremberg, eben noch Brandenburg, sehr nah an Sachsen, zur Welt gekommen und zur Schule gegangen.
Losgehen – das ist eine Exkursion mit ihr und ihrem Freund Lars Katzmarek in dessen Auto. Durch die Lausitz, nicht nur dorthin, wo es schön aussieht. So ist es verabredet: Was ist diese Lausitz – abgesehen davon, dass sie kein Kohlerevier bleiben wird?
Silke Butzlaff ist nicht nur aus der Gegend, seit einiger Zeit trägt sie sie auch vor sich her. Auf ihrem T-Shirt steht „Initiative zur Erhaltung der Deutschen Bergbaureviere“ und „Glück auf“ mit Schlägel und Eisen. Sie gehört zum Verein „Initiative zur Erhaltung der Deutschen Bergbaureviere“.
„Der Bagger da ist meiner“
Empfohlener externer Inhalt
Jetzt geht es zum ersten Aussichtspunkt, einer geräumigem Holzhütte oberhalb eines Tagebaus. Von dort sieht man ihn, den Braunkohleabbau. Kein Geräusch ist zu hören, aber der Blick geht wie in eine Schlucht fast wie beim Grand Canyon, wohl sandiger – nur dass dort keine Monsterbagger stehen und die Steilhänge eher aussehen wie eben freigelegt, nicht in Tausenden von Jahren glatt gewaschen.
Butzlaff zeigt mit ihrem Arm nach rechts, dort steht ein fetter Bagger – „das ist meiner“, aus der Ferne ganz niedlich, aus der Nähe ein Monstrum aus hochhaushoch verschraubten Stahlträgern und Schaufeln. Stolz liegt in ihrer Stimme. Seit 39 Jahren ist sie Baggerfahrerin hier. Nach der Schulzeit habe sie überlegt, Erzieherin zu werden, das zerschlug sich irgendwie, aber geboten wurde eine Arbeit im Tagebau im technischen Bereich. Seit jeher ist sie Baggerfahrerin, „das liegt mir, ich liebe meine Arbeit“.
Was Butzlaff liebt, bereitet anderen heftigste Sorgen. Hier in der Lausitz stehen allein drei der europäisch größten Objekte an C02-Ausstoß, Kohlekraftwerke, die die am leichtesten zu gewinnende Art der fossilen Stoffe verarbeiten: Braunkohle. Schmutzschleudern, allen Filteranlagen, allen Mühen um Renaturierung ausgebaggerter Felder zum Trotz. Die Lausitz befindet nicht umsonst im Visier von Klimaschützern. Die gibt andererseits Tausenden Menschen Arbeit und damit Heimat. Ein Gespräch zwischen Ansässigen und Klimaaktivist*innen ist fast unmöglich. Es gab Klimastreiks von Fridays for Future, aber die Resonanz blieb eher mager.
„Protest ist hier nicht cool“
An dieser Stelle würde eine wie Rebekka Schwarzbach vermutlich bitter schweigen, vielleicht auch protestieren. Die Mittzwanzigerin spricht anderntags in Cottbus, der Hauptstadt der Region, über ihre Perspektive auf das Braunkohlerevier. Sie kommt aus Berlin-Lichtenberg, hat einen Bachelor und wirkt in ihrer neuen Heimat als Klimaaktivistin. Schwarzbach ist es ein Anliegen, zu sagen, was Sache ist: „Die Klimakrise lässt uns keine Zeit.“ Mit dem Lausitzer Urgestein René Schuster bemüht sie sich um den Aufbau von Protesten gegen die die Vernutzung der Natur, überhaupt gegen die Braunkohle. Schwarzbach ist, bekennt sie, durch und durch Aktivistin – und sie hat es in der Gegend nicht so leicht. „Wir sind nicht so viele, die sich wirklich einsetzen, es ist nicht cool hier.“
Cool – das Wort sagt sie öfter und erklärt, dass die klimaaktivistische Szene, der sie sich zugehörig fühlt, nicht gerade die Lausitz zum Hot Spot erklärt hat. „Das ist im Rheinland anders“, also bei den Kämpfen um die Braunkohlegruben um Garzweiler, „da sind Leute, machen Camps, protestieren …“
Das Gesetz Seit Juli 2020 steht es fest: Kein Kohlekraftwerk in Deutschland hat eine ewig währende Zukunft. Nach und nach gehen die klimaschädlichen Anlagen vom Netz, und zwar bis „spätestens Ende 2038“. Für die Lausitz gibt es qua Kohleausstiegsgesetz einen festen Fahrplan: Jedes der dortigen Braunkohlekraftwerke hat einen konkreten Abschalttermin, dafür bekommt der Betreiber Leag eine feste Entschädigung. In Regionen, in denen es Steinkohlekraftwerke gibt, ist das nicht so. Für diese konkurrieren die Energiekonzerne in Auktionen um Entschädigungen und Abschalttermine.
Die Energiekrise Die Ampelregierung will wegen der Klimakrise „idealerweise“ schon 2030 mit dem Kohleausstieg fertig sein. In der Energiekrise sollen Kohlekraftwerke aber den Gasmangel ausgleichen - und deswegen teils länger laufen als geplant. Das betrifft zwar vor allem die nicht ganz so klimaschädliche Steinkohle, aber auch die Leag bereitet sich darauf vor, zwei nur noch in Reserve befindliche Blöcke des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde wieder zu nutzen. Dazu holt sie etwa Fachkräfte zurück aus der Frührente. (scz)
Vielleicht spielt für die eher randständige Position dieser Aktivistin, überhaupt des Klimaprotests, eine gewisse Rolle, dass es in der Lausitz, ob nun dem brandenburgischen oder dem sächsischen Teil, wenig gibt, an das sich protestierend anknüpfen ließe. Die Studierenden an der Universität von Cottbus findet Rebekka Schwarzbach eher „unpolitisch“, was konkret heißt, dass sich nicht viele begeistern lassen für einen Protest.
Vor fünf Jahren kam die Bewegung „Ende Gelände“ in die Gegend – und erlitt, was die Sammlung von Sympathien anbetrifft, schweren Schiffbruch. „Was wollt ihr?“, hielten Leute aus dem Tagebuch den aus allen möglichen Ländern angereisten baggerbesetzenden Aktivisten entgegen – und erhielten keine Antwort. Es muss wie der Besuch von uneinschätzbaren Aliens gewirkt haben.
Denn so klar die Leute von „Ende Gelände“ damals gespürt haben müssen, dass in der Lausitz wenig an Zustimmung zu holen ist, so klar ist auch, dass es gegen eine andere Klimapolitik keine grundsätzlichen Vorbehalte mehr gibt. Schon gar nicht bei einem wie Lars Katzmarek, dem Freund der Baggerfahrerin Silke Butzlaff, dmr Mann, der uns an diesem Tag durch die Region fährt. Jetzt halten wir an einem Feld, vor uns weite Landschaft, der Parkplatz noch leer, es ist früh, bald stehen hier Autos.
Die Einsicht: „Tagebau ist bald nicht mehr“
Butzlaff und er sind Kollegen, er ist Gewerkschafter der IG Bergbau und Energie und Mitarbeiter der Leag, des in Tschechien ansässigen Braunkohleplatzhirschs der Gegend. „Alle hier wissen, dass das mit der Kohle für uns endlich ist. Tagebau ist bald nicht mehr“, sagt Katzmarek. 2038 war mal das avisierte Jahr noch zu Merkel-Zeiten, seit einem Dreivierteljahr kursiert die Zahl 2030, aber das sei „ein echt sportliches Datum“, wie Baggerfahrerin Silke Butzlaff ergänzt.
Katzmarek, der vor 30 Jahren in Forst an der polnischen Grenze zur Welt gekommen, ist so etwas wie der Botschafter dieser Landschaft und ihrer Menschen in Berlin, in der Landeshauptstadt Potsdam, im Fernsehen, neulich auch beim taz lab. Er will zeigen, was Sache ist – „dass wir hier ernsthaft an der Zukunft arbeiten“. Fridays for Future, sagt er, „da war ich auch dabei“. Er, ein gelernter Elektrofacharbeiter, steht in Cottbus bei der Leag in Lohn und Brot, sagt, nur die AfD verweigere sich allem – „die wissen nur zu sagen, der Tagebau kann immer weitergehen, aber wir wissen, dass das nicht sein kann, wir sind ja nicht blöd; dass das Klima sich ändert, dass wir in den Wandel müssen, ist uns doch nicht verborgen geblieben“.
Er fährt uns weiter nach Forst. Die Stadt ist überaltert, wie alle Kommunen, in denen die Industrie keine Jobs bietet und keine Großbehörden angesiedelt sind, zumal an der Grenze zu Polen. Am Rande von Forst ist zu sehen, was das Problem allen Klimaaktivismus in der Lausitz ist: Siedlungen wie das Dorf Neu-Horno. Fährt man die wenigen Straßen dieses Fleckens ab, glaubt man, in einer Art Retortenkommune angekommen zu sein, alles ist von ein wenig beklommen stimmender Akkuratesse, nichts sieht abgelebt, leicht verbraucht oder gar reparaturbedürftig aus.
Dörfer sind nicht für die Ewigkeit gebaut
Andererseits ist das auch kein Wunder: Das Neue an Horno ist, dass das alte Horno, eine halbe Autostunde entfernt, nicht mehr existiert – ausgebaggert, dem Tagebau geopfert. Und zwar mit Einverständnis fast aller Hornoer – sie wussten ja um die finanziellen Zusagen, dass etwa alles wie im alten Horno auch im neuen wieder aufgebaut würde. Und so geschah es: Wer nicht wollte, wurde ausbezahlt.
So berichten es alle aus der Gegend: Dörfer, menschliche Ansiedlungen sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Die Lausitz war vor Jahrmillionen waldig, schließlich steppig, karg besiedelt, und als Braunkohle gefunden wurde, vor 200 Jahren, war der Rest eine Geschichte der industriellen Gelegenheiten. Eine Landkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt Dörfer, die es längst nicht mehr gibt. In der DDR wurde aus Flecken im Irgendwo eine Industrielandschaft geschaffen, von der die Republik mit Energie versorgt wurde – mit Tausenden von Neubürger*innen aus allen Teil der Republik.
Lars Katzmarek weist weit von sich, die Interessen der Leag zu vertreten, beharrt vielmehr darauf, dass er die Kolleginnen und Kollegen sieht, die nur noch wenige Jobs haben. „7.000 gut bezahlte Arbeitsplätze müssen her“, sagt er, „am besten solche, die der Klimatransformation nutzen“.
Was der Gegend sonst fehlt, ist an jedem Bahnhof ersichtlich, auch an allen Straßen: Der öffentliche Nahverkehr ist ein Witz; wer sich bewegen will, muss Fahrrad fahren, zu Fuß gehen – oder ein Auto nutzen. Katzmarek weist auf die Bahn hin, die Strecke sei bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die wichtigste für die Züge zwischen Berlin und Breslau, heute Wrocław, gewesen. Heute geht es hier, ab Lübbenau im Spreewald, eingleisig zu. „Wir brauchen die Einhaltung der Zusage, dass die Bahn bei uns investiert, dass wir zweigleisig werden“, sagt er, der an die größere, weitere Welt wieder angeschlossen werden möchte.
Dass die Politik im doch recht fernen Berlin und Potsdam sich das sagen lässt, dass sie die Rufe erhört, geschieht zwangsläufig. Noch herrscht Vollbeschäftigung in der Gegend, auch dank der avisierten Milliardensummen für die Klimatransformation.
Ob ihn das nicht oft nervt, dieser ewige Zank um Braunkohle, Klimaaktivismus, um eine Zukunft der Region, die in schönsten Farben ausgemalt wird – aber wie alle Zukunft nicht sicher ist? Lars Katzmarek winkt ab. „Ich fahre gern mal nach Berlin, gucke mir sowieso gern andere Gegenden an, aber die Lausitz, mit der habe ich alle Rechnungen immer offen.“ Hier wolle er was bewegen, ja „den Beweis erbringen, dass man mit konstruktiver Arbeit etwas erreicht“. Katzmarek beharrt darauf, dass es eine Zukunft geben muss, vorläufig mit dem Bergbau.
Das Problem
2022 muss ein Energiewende-Sommer werden. Die Klimakrise verschärft sich und die Abhängigkeit vom russischen Öl und Gas zeigt nochmals, dass Veränderung hier nicht warten kann. Aber der Wandel passiert nicht nur an Berliner Ministeriumsschreibtischen, sondern konkret in den Städten und Dörfern Deutschlands. Was bedeutet die Klimakrise und die Energiewende wirklich vor Ort?
Das Projekt
Einen Sommer lang besucht die taz Orte, in denen um die Energiezukunft gerungen wird. Wie spüren Gemeinden in Deutschland die Folgen der Klimakrise? Welche Konzepte und Konflikte gibt es bei der Suche nach Lösungen? Das Projekt taz klimaland mit Texten, Veranstaltungen und Videos ist zu finden unter taz.de/klimaland und auf dem Instagramkanal @klima.taz.
Die Orte
Wir sprechen mit Menschen, die gegen den geplanten Solarpark im Nachbarort protestieren, genauso wie mit Obstbauern, die durch den Klimawandel aufgeben müssen. Wir begleiten den Schwerlasttransport eines Rotorblatts auf der Autobahn und besuchen Aktivist:innen, die mit Gewissheiten hadern. Es geht ums Ganze, im Kleinen. Wollen Sie uns auch zu sich einladen? Worum wird bei Ihnen vor Ort gestritten? Schreiben Sie uns eine E-Mail an klimaland@taz.de.
Die Exkursion geht weiter, die Landschaft ist für Unkundige schwer entzifferbar. Straßen werden umgelegt, wenn es der Tagebau erforderlich macht – und irgendwie stehen am Horizont in der brutal grünen Landschaft immer die Meiler des Kraftwerks Schwarze Pumpe. Das ist nicht ohne Reiz, so eine satt anmutende Natur, die durch Industrieinstallationen ästhetisch gebrochen wird. Zumal es in der Luft da und dort nach Öligem riecht – chemische Stoffe, die bei der Verarbeitung der Braunkohle freigesetzt werden, sickern ein und miefen in die schöne Luft, wenn es heiß ist oder leichte Brände entstanden sind.
Ein Seengebiet dank des Tagebaus
Die Lausitz ist auch ein Seengebiet, die es ohne den Tagebau nicht gäbe. Rebekka Schwarzbach und ihre Freunde von der Grünen Liga monieren auch das: dass nur schön aussieht, was nicht schön ist. Die Seen? „Viel zu groß“, empört sie sich. Die Gewässer sind die Hinterlassenschaften, wenn die Tagebaue ausgebeutet sind. Weil unter den Sand- und Geröllschichten die Kohle recht flach liegt, bleiben quasi Eindellungen übrig – und die werden, teils durch Grundwasser, teils durch natürlich Zuflüsse geflutet und sollen irgendwann jene Seen bilden, an deren Ufern Häuser stehen, Freizeitparks, Marina-Anlagen.
René Schuster ist Vorsitzender der Grünen Liga in der Lausitz, er geht auf auf seine Art den Braunkohleleuten, überhaupt der Gegend durch sein Beharren auf Naturschutzstandards auf die Nerven. Schuster hat Studien gegen die Kohlekultur verfassen lassen, er weiß, wovon die Rede ist. Er sagt also, diese Seen seien zu groß angelegt, viel zu viel könne verdunsten – die Lausitz sei ohnehin zu trocken und anfällig für das näher rückende kontinentale Klima Europas.
Ein Argument, das Lars Katzmarek wiederum nicht gelten lässt: Das könne gelöst werden, durch neue Technologien, zum Beispiel durch Röhrensysteme aus wasserreicheren Gegend, etwa im Norden des Landes, um so die Seen zu fluten. Zukunftsmusik oder nicht: Schuster, der Mahner für eine ökologisch intakte Lausitz, stellt das nicht zufrieden, das sei noch nicht ausgegoren, hält er fest.
Rebekka Schwarzbach, die Aktivistin, bleibt pragmatisch. Sie hat mit anderen ein Stück eines, so sagt sie am Abend bei der taz-Klimaland-Veranstaltung zur Lausitz, „bedrohten Stücks Wald“ aufgekauft. Auf einer Postkarte zeigt sie ein Motiv ihrer Aktion, die garantiert noch viel Arbeit für die im Land ansässigen Verwaltungsgerichte mit sich bringen wird: Man sieht einen Elch im dunklen Wald, eine Sprechblase lässt ihn sagen: „Wenn ihr unseren Wald abbaggert, schau ich euch nicht mehr mit dem Arsch an“.
Silke Butzlaff, Baggerfahrerin
Silke Butzlaff findet die Karte „süß, Elche mag ich auch“, aber, sie bedauert, „die habe ich auf meinen Schichten noch nie gesehen“. Wenn „der Tag gerade angebrochen ist und mein Bagger mal kurz Pause macht, kann ich die Geräusche in der Stille hören. Vögelgezwitscher, Falken – und einmal war ein einsamer Wolf zu sehen, wunderschönes Tier. Dann genieße ich die Natur und weiß, warum ich hier so gerne lebe“.
Die Fahrt geht weiter und endet bei einer Überraschung – einem Weinberg. Auf den Erden eines abgeflözten Tagebaus sind Weinstöcke angepflanzt worden, nach längerem Hin und Her fand die Inhaberin sogar einen Betrieb, der die Lese und die Produktion besorgt. Die Flaschen verkaufen sich bis in bessere Berliner Restaurants. Katzmarek sagt: „Aus solchen Initaitiven entsteht Neues für die Gegend. Wir brauchen noch viel mehr davon.“
Das ist natürlich leichter gesagt, als das echte Leben so hergibt. Für die Entwicklung von Schönheit im, sagen wir toskanischen oder uckermärkischen Sinne, also für die solventeren Kreise aus Berlin ist das nicht genug. Aber womöglich ist das durch den russischen Krieg auch gar nicht so vordringlich – die Lausitzer Kohle wird wohl noch gebraucht, so rasch kann womöglich die Ausbaggerung nicht eingestellt werden.
Alles ist plötzlich wieder offen, aber Silke Butzlaff sagt: „Klar, warum nicht.“ Wobei sie erwähnt, dass es ein Nachwuchsproblem gibt. „Junge Leute hier in der Gegend wissen doch seit Langem, dass bei der Leag für sie keine Zukunft ist.“ Selbst wenn jetzt kurzfristig noch auf Kohle gesetzt werden müsste – kein Berufsleben kann damit geplant werden. Was aber ohnehin nur zur Not – wie in der Energieversorgungskrise jetzt – gedacht werden soll: „Ach, das wäre sowieso nur ein Aufschub. Kohle kann nicht die Zukunft sein, das ist allen klar.“
Es ist ja nicht so, dass es einen großen Run gäbe auf Jobs in der Lausitz. Landflucht gibt es seit Langem, wer nach der Wende als Arbeitnehmer durch die real existierende Marktwirtschaft vor den Trümmern der eigenen Arbeitsbiografie stand, ist weggezogen, nach Bayern, Baden-Württemberg, wohin auch immer. Dass am Ende der Braunkohleausbaggerung kein Zweifel besteht, dass also auch noch Fragen nach der Wasserversorgung, nach den immer stilleren Dörfern zu klären sind, aber auch der nach Menschen, die in die Lausitz kommen möchten, um dort zu leben und arbeiten, ist auch offenkundig.
Lars Katzmarek bleibt optimistisch. In Forst, wo er aufwuchs, nahm man ihm in Schülertagen robust übel, dass er ein Gymnasium in Cottbus besuchen durfte und andere nicht – er will kein Abgehängtwerden, in Randständigkeit verharren, er will sich seine Heimat so gern als industrielle Avantgarde vorstellen. Er sagt, „dass es Zukunft geben muss“, dass die jungen Leute, so wie er, „wahnsinnig motiviert sind, hier weiterzumachen“.
Als er das sagt, fahren Ausflügler auf ihren Rädern an uns vorbei, fliegen gerade zwei Störche über unsere Köpfe hinweg, tatsächlich ist am Waldrand ein Reh zu sehen, man meint kurz, in ein unbeschädigtes Idyll zu gucken, fast kitschig.
Abends, auf der Klimaland-Veranstaltung im Gründerzentrum am Industriepark Schwarze Pumpe, werden die üblichen Positionen abgesteckt, Katzmarek sagt, auch wenn jetzt alle zur Klimatransformation das sagen, was zu erwarten ist, dann „ist es doch ein Gewinn, dass wir mal zusammenreden, nicht übereinander“. René Schuster, der Klimawandelanalyst, nickt ein ganz kleines bisschen. Und Silke Butzlaff, die Baggerfahrerin, spricht Rebekka Schwarzbach, die Klimaaktivistin, direkt an und sagt: „Wollen wir nicht mal telefonieren oder uns mal treffen, weiterreden, uns mal kennenlernen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“