: Bratwurst in Korea
HIPPEN EMPFIEHLT Das Kino 46 zeigt den Dokumentarfilm „Endstation der Sehnsüchte“ von Sung-Hyung Cho, der in einem „deutschen Dorf“ in Südkorea gedreht wurde
VON WILFRIED HIPPEN
Es gibt auch Erfolgsgeschichten von sogenannten „Gastarbeitern“! So kamen etwa drei Koreanerinnen in den sechziger Jahren nach Deutschland, wo sie als Krankenschwestern arbeiteten und schließlich deutsche Männer heirateten. Als wohlhabende Rentnerinnen kehrten sie vor ein paar Jahren zurück in ihre Heimat und siedelten dort zusammen mit ihren Gatten in dem „Deutschen Dorf“ an, das von der koreanischen Regierung als Dankeschön für all jene Koreaner gebaut wurde, die damals mit ihren Geldüberweisungen aus Deutschland die koreanische Wirtschaft angekurbelt haben.
Es hat ein wenig etwas von einem „Teutonic Park“ – diese kleine Ansiedlung auf einer idyllischen Insel, die aus ein paar typischen deutschen Häuschen besteht und von einigen typisch deutschen Männern und ihren koreanischen Frauen bewohnt wird. Als solch ein Themenpark wird es offensichtlich auch von jenen Koreanern verstanden, die es an den Wochenenden in Strömen besuchen, dabei die schön ordentlichen Vorgärten zertrampeln und ihren Kindern gestatten, die deutschen Bewohner als „Langnasen-Opas“ zu beschimpfen.
Diese Ebene des Dokumentarfilms hat Sung-Hyung Cho mit einigen hochkomischen Sequenzen eingefangen, aber am Anfang des Films scheint sie selber ja auch das dort gefundene skurrile Deutschtum auszustellen. So zeigt einer der drei deutschen Männer als typischer Handwerker stolz seine aus der Heimat mitgebrachte Betonmischmaschine, deutsches Brot und deutsche Wurst werden gefertigt und ein Autofahrer singt sein Klagelied über „Frauen am Steuer“.
Sung-Hyung Cho hat einen genauen Blick für solche Details, denn die Regisseurin lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland und hatte mit der Dokumentation „Full Metal Village“ über ein Heavy-Metal-Festival in der tiefsten holsteinischen Provinz großen Erfolg bei Presse und Publikum.
Wenn hier also koreanische und deutsche Befindlichkeiten aufeinander stoßen, kann sich Sung-Hyung Cho wie wenige andere in beide Seiten einfühlen. Zudem hat sie soviel Talent und Selbstbewusstsein, dass sie ihre Aufnahmen ganz für sich selber sprechen lassen kann und deshalb ganz auf eine Erzählerstimme im Off verzichtet. So muss der Zuschauer wohl oder übel genau hinsehen und hören, wenn etwa ein deutscher Rentner neben seinem angeheirateten koreanischen Verwandten auf dem Sofa sitzt und beide sich ohne gemeinsame Sprache quälend lange anschweigen, bis das Ganze in eine absurde Pantomime mündet, bei der immer wieder Luftangeln in die Höhe gerissen und die Größe der angeblich gefangenen Fische angezeigt werden. Anglerlatein ist offensichtlich eine Weltsprache.
Bei all diesen Szenen versucht Sun-Hyung Cho nie zu kaschieren, dass sie mit ihrer Kamera mit dabei ist und es diese Szenen ohne sie so gar nicht geben würde. Dies macht sie programmatisch schon in der ersten Szene deutlich (in der ein alter Koreaner langsam auf die Kamera zuspaziert und fragt: „Macht ihr Messungen?“). Seltsamerweise wirkt der Film gerade deshalb so ehrlich. Wenn die Frauen davon erzählen, was ihnen in Deutschland widerfahren ist, spiegeln sich diese Erfahrungen auch in ihrem jetzigen Leben, weil ja nicht nur ihre Männer in Korea Fremde sind und bleiben werden, sondern auch sie selber jetzt als Fremde in ihrer Heimat leben. Diese Entwurzelung kann wohl nur die Koreanerin und Wahldeutsche Sung-Hyung Cho so vielschichtig und einfühlsam vermitteln. Deshalb ist das Dorf am Ende ihres „Heimatfilms“ keine Kuriosität mehr, sondern tatsächlich eine „Endstation der Sehnsüchte“.