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Brasiliens Regierung beugt sich dem Währungsfonds

■ Nach dem Scheitern des ehemaligen Finanzministers Funaro hat sich die brasilianische Regierung mit einer harten Austeritätspolitik den Forderungen der Gläubiger angepaßt

Von Gabriela Simon

Wolfgang Sauer, dem ehemaligen Chef von VW do Brasil und heutigen Präsidenten von „Autolatina“ (einem Zusammenschluß der Automultis VW und Ford in Brasilien und Argentinien), platzte vorletzte Woche der Kragen. Unverblümt machte er der brasilianischen Regierung klar, an welche Gesetze sie sich gefälligst zu halten habe. „Es ist Zeit, daß die Regierung die Gesetze des Marktes und die freie Initiative respektiert“, tönte er in Sao Paulo. Mit der „Wirtschaftsdiktatur“ müsse es jetzt ein Ende haben - womit er nicht etwa die politisch kaum noch kontrollierbare Macht der Multis meinte, sondern Eingriffe der demokratisch gewählten Regierung in die „freie“ Marktwirtschaft. Wolfgang Sauer ist in Brasilien ein einflußreicher Mann. Als Chef der deutsch–brasilianischen Handelskammer steht er auch für die Macht des bundesdeutschen Kapitals, das dort mit 1.700 Firmen nach den USA zum zweitgrößten ausländischen Investor geworden ist. Und den Zeitpunkt für seinen Protest hat er sich geschickt ausgesucht. Bis vor wenigen Tagen hielt sich nämlich in Brasilien zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein „Expertenteam“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf und verhandelte mit der brasilianischen Regierung über langfristige wirtschaftspolitische Orientierungen. Und da möchten auch die Multis ein Wörtchen mitreden. Ihnen ist neben den staatlichen Preiskontrollen vor allem die Politik der Marktreservierung für nationale Unternehmen ein Dorn im Auge. Sie beschränkt sich zwar noch auf den Informatiksektor, soll aber möglicherweise auf andere Branchen, wie Bio– und Gentechnologie ausgedehnt werden. Das zumindest soll der IWF ver hindern. Außerdem, so Wolfgang Sauer letzte Woche in Sao Paulo, möge sich Brasilien ein Beispiel an Mexiko nehmen, wo fast alle 186 Staatsbetriebe verkauft werden sollen. Auch dafür wird der IWF ein offenes Ohr haben. Die Stunde ist günstig, um die brasilianische Regierung unter Druck zu setzen - nicht nur für multinationale Konzerne, sondern auch für ausländische Gläubigerbanken und den IWF. 25 Millionen Arbeitslose Nachdem der frühere Finanzminister Dilson Funaro mit seiner betont unabhängigen Politik gegenüber dem IWF gescheitert ist, versucht nun sein Nachfolger Bresser Pereira, die Annäherung an den IWF zu managen, um dadurch Umschuldungsverhandlun gen mit den Banken zu ermöglichen. Funaros Scheitern ist jedoch nicht der einzige Grund für die derzeitige Schwäche Brasiliens. Viel schlimmer ist das verheerende Ausmaß, das die Wirtschaftskrise in den letzten Monaten erreicht hat. Nach den kürzlich veröffentlichten Zahlen des staatlichen Statistikamtes IBGE haben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres eine Million Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren, 330.000 allein im Monat Mai. Dies sind, wie gesagt, die Angaben der amtlichen Statistik, die einen Teil der Arbeitslosen gar nicht erfaßt. Das brasilianische Nachrichtenmagazin Veja schätzt, daß mindestens 25 Millionen Brasilianer zur Zeit arbeitslos oder unterbeschäftigt sind - knapp 20 rung. Brasilien durchlebt die schwerste Krise seit den dreißiger Jahren. Parallel zu der sich zuspitzenden Krise läßt sich der Prozeß der allmählichen Anpassung an die Forderungen des IWF beobachten. Nach der wiederholten Ankündigung, die Zinszahlungen an die ausländischen Banken teilweise wiederaufnehmen zu wollen, überraschte Bresser Pereira den IWF am 12. Juni mit einem Austeritätsprogramm, das in der Geschichte der brasilianischen Demokratie ohne Beispiel ist. Neben einem auf 90 Tage befristeten Lohn– und Preisstopp wurde die Abschaffung subventionierter Kredite und zahlreicher Preissubventionen, u.a. für Weizen und Milch verfügt. Die Preise für Brot, Milch, Strom, Telefon, Benzin und Gas wurden um 20 bis 40 Prozent erhöht. Entscheidend an diesem „Plan Bresser“ ist die Abschaffung des Inflationsausgleichs bei den Löhnen. Die Löhne wurden zu einem Zeitpunkt eingefroren, an dem sie bereits 19 Gegensatz zum Lohnstopp) schlecht kontrolliert werden kann, wird damit gerechnet, daß die Reallöhne in diesen 90 Tagen um weitere 22 bis 34 Prozent sinken. Unterm Strich würden die Reallöhne also praktisch auf die Hälfte reduziert. Eine derartige Verelendungspolitik hatte es seit dem Ende der Militärdiktatur nicht mehr gegeben. Noch im „Cruzado–Plan“ vom Februar letzten Jahres war der Inflationsausgleich für die Löhne ein zentrales Element. Mit der überdurchschnittlichen Erhöhung der Mindestlöhne hatte man wenigstens ansatzweise versucht, der Armut entgegenzuwirken. Auch damit ist es jetzt vorbei. Der Mindestlohn ist inzwischen auf seinen historischen Tiefstand von umgerechnet 75 DM gesunken. Nullösung für Defizit Ende vorletzter Woche, nach langen Konsultationen mit der IWF–Delegation, verkündete Bresser Pereira schließlich einen gesamtwirtschaftlichen Fünfjahresplan, der diese Austeritätspolitik langfristig festlegt. Er sieht eine Reduzierung des Haushaltsdefizits bis 1991 auf Null vor und eine gleichzeitige Erhöhung der Handelsbilanzüberschüsse auf 10 Milliarden Dollar jährlich. Die Logik dieser beiden Wirtschaftsprogramme ist nach dem Muster der gängigen IWF–Auflagen gestrickt: Der Konsum der unteren Klassen wird reduziert, und die Exporte werden angekurbelt, um mit dem so erzielten Überschuß die Auslandsschulden bedienen zu können. Mit dieser wirtschaftspolitischen Wende dürften aber noch lange nicht alle Bedingungen erfüllt sein, die die Gläubiger an eine Umschuldung der 113 Milliarden Dollar brasilianischer Auslandsschulden knüpfen. Sie ist lediglich die Eintrittskarte für die in Kürze in Washington beginnenden Verhandlungen. In welche Richtung weiterreichende Forderungen gehen, deutet die eingangs zitierte Rede von VW–Chef Sauer an: stärkere Öffnung der brasilianischen Märkte für ausländische Investoren und Verkauf eines Teils der Staatsbetriebe. Die Gläubigerbanken sind sich hierin mit den multinationalen Konzernen einig, weil sie darauf setzen, einen Teil ihrer Schuldentitel an interessierte Investoren verkaufen zu können. Nachdem sich Brasilien in den vergangenen Jahren mit 12 Milliarden Dollar Zinszahlungen jährlich an die ausländischen Banken regelrecht kaputtgezahlt hat, soll nun der Ausverkauf der produktiven Kapazitäten auf der Tagesordnung stehen. Die derzeitige brasilianische Regierung hat den Forderungen von IWF, Banken und Multis kaum noch etwas entgegenzusetzen. Sie reagiert auf den Druck von außen. Der Druck von innen könnte ihr allerdings bald noch mehr zu schaffen machen. Denn die linken Gewerkschaften begnügen sich inzwischen nicht mehr damit, gegen einzelne wirtschaftspolitische Maßnahmen zu protestieren. Sie haben eine Kampagne initiiert, die den Rücktritt des Präsidenten Sarney fordert, und als deren vorläufiger Höhepunkt für Mitte August ein Generalstreik geplant ist. Wird er zum Erfolg, dann könnte das den Plänen der Gläubiger einen Strich durch die Rechnung machen.

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