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Archiv-Artikel

Brandanschlag auf Gebetsraum

Auf das Gebäude der islamischen Gemeinschaft in Sittensen sind Molotowcocktails geworfen worden. Die Spuren führen zur rechtsextremen Kameradschaften-Szene. Die Wohnung eines Verdächtigen wurde bereits durchsucht

Unter dem Label „Nationale Sozialisten“ agieren Freie Kameradschaften, die den Habitus der Autonomen kopieren wollen

In der Nacht zum Ostersamstag sind mehrere Molotow-Cocktails in den Gebetsraum der islamischen Gemeinschaft im niedersächsischen Sittensen geworfen worden. Allein „glückliche Umstände“ hätten verhindert, dass die Gebäude nicht in Brand gerieten und kein Anwohner verletzt wurde, sagt Detlev Kaldinski, Pressesprecher der Polizei Rotenburg. Einen vermutlichen Täter hat die Polizei bereits ermittelt. Der junge Mann gehöre „offensichtlich der rechtsextremen Szene“ an, sagt Kaldinski.

Bevor sie die Molotow-Cocktails warfen, hatten die Täter drei Fensterscheiben der Räume in der Königsberger Straße eingeschmissen. Die Brandsätze beschädigten im Vorraum des Gebetsraums vor allem Mobiliar und Teppich, bevor sie von selbst ausgingen. Der Sachschaden wird auf rund 10.000 Euro geschätzt.

Hätten die Molotow-Cocktails voll gezündet, wären die Anwohner gefährdet gewesen, so die Polizei. Denn der Gebetsraum mit dem Flachdach ist baulich mit einem Einfamilienhaus verbunden. In jenem Haus schliefen zur Tatzeit fünf Personen. Weil Menschen gefährdet wurden, ermittelt die Polizei auch wegen schwerer Brandstiftung.

Um 2.30 Uhr in der Nacht sollen Anwohner bereits das Klirren der Scheiben gehört und eine Person weglaufen gesehen haben. Dieser Beobachtung maßen sie aber keine große Bedeutung bei. Am Samstagmorgen bemerkte der 73-jährige Hausbesitzer dann den Anschlag. Ihm fielen auch die anti-islamischen Aufkleber der „Nationalen Sozialisten“ an dem Gebäude auf.

In der Sittenser Wohnung des 18-jährigen Verdächtigen fand die Polizei ähnliche Aufkleber. Unter dem Label „Nationale Sozialisten“ agieren Freie Kameradschaften, die den Habitus der Autonomen kopieren wollen. Die NPD ist ihnen programmatisch zu moderat und strategisch zu parlamentarisch ausgerichtet. Bei Wahlen und Aufmärschen arbeiten sie aber dennoch mit der NPD zusammen.

Die „Autonomen Nationalisten Soltau“ (ANS), eine Gruppierung innerhalb der „Nationalen Sozialisten“, agieren schon länger in dem an Sittensen angrenzenden Landkreis Soltau-Fallingbostel. 2007 klebten sie über Nacht hunderte von Spuckis mit der Aufschrift „Good Night Left Site“. Der Bomlitzer Bürgermeister Michael Lebid (SPD) musste schon an seiner Haustür lesen: „Linke haben Namen und Adresse – kein Vergeben, kein Vergessen.“ Der Verfassungsschutz schätzt die ANS auf zehn bis fünfzehn Personen.

Zwischen Hannover und Bremen sind die Kameradschaften überhaupt sehr aktiv. Mitte Januar versuchten „Autonome Nationalisten“ am Gymnasium Ganderkesee einen Vortrag zur „Prävention gegen Rechtsextremismus im Alltag“ zu stören. Im Februar verschlossen Rechte im nahen Harpstedt eine Schule mit Fahrradschlössern und Ketten, um eine Informationstag unter dem Motto „Tag der Toleranz“ zu verhindern.

Der Tatverdächtige aus Sittensen sitzt nicht in Untersuchungshaft, da keine Haftgründe vorlägen. Er hat angekündigt, sich vom Hamburger Neonazianwalt Jürgen Rieger rechtlich vertreten zu lassen. ANDREAS SPEIT