: Boygroups? Jürgens!
■ Vor Alpen-Sinatra „Udo“geraten auch reifere Semester in grelles Entzücken
„In einer Zeit, in der ich manchmal das Gefühl habe, daß die Bedrohung von Leib und Seele, von Verstand und Charakter überall lauert, habe ich meine Lieder als eine Art Notwehr empfunden.“So grübelt Udo Jürgens im Schlußwort des Bookletts seiner zuletzt veröffentlichten CD.
Doch was wie Weltschmerz eines über 60jährigen klingt, entpuppt sich auf der Bühne als eine höchst aktive Form von Notwehr: Bei seinem Bremen-Gastspiel in der ausverkauften Stadthalle rockte, tänzelte und schnulzte der deutschsprachige Frank Sinatra jetzt geschlagene 130 Minuten, daß es den überwiegend weiblichen Fans ein regelrechtes Pläsierchen war.
Wer war „Jenny“?
Die Tour „Gestern – Heute – Morgen“, das sind neu aufgemischte Karten und ein wenig angereiftes Gedankengut. Aus „gestern“und „heute“setzte sich auch die herausgeputzte ZuschauerInnenschar zusammen. ZeitzeugInnen, die sich vielleicht noch eigenäugig an Udos 1959er Auftritt mit dem ersten selbstkomponierten Lied „Jenny“(noch immer mysteriös: nannte er seine Tochter nach der besungenen Ex-Geliebten oder umgekehrt?) erinnern konnten, waren ebenso vor Ort wie Leute von heute: Schick-adrette Handtaschenfrauen, H&M-Lolas (22 Jahr' – blondes Haar) und – bei den Männern überwiegend – eifersüchtige Aufpasser.
Wer nur einseitig vorgebildet war und nur die ollen Kamellen des Herrn Udo Jügen Bockelmann hören wollte, mußte sich mit einem komprimierten Oldie-Medley in der „Bademantel-Zugabe“begnügen.
Denn längst läßt sich Udo Jürgens nicht mehr auf Griechischen Wein im Ehrenwerten Haus reduzieren. In der Musik vermischen sich Jazz, Rock, Pop und sinfonische Töne, und die Songtexte reichen von der Schickeriaschmäh über Philosophisches wie „Was ist Zeit?“bis hin zu gar nicht plumpen Liebesliedern.
Von Lied zu Lied wurde der Beifall für die Show lauter, und als der alte Charmeur auch noch nackte Haut (das rechte Kniiee!) zeigte, reichte der Kreisch- und Klatschpegel ganz eindeutig an die Boygroup-Hysterie heran. So lösten 200, mit Rosen bewaffnete Anhängerinnen das vom Hallensprecher verhängte Bühnenbelagerungsverbot vorzeitig auf, um ihren Star im zweiten Showteil hautnah erleben zu können.
Und der – großzügig wie immer – warf sein Handtuch der Menge entgegen, schwitzte und sang sich mit routiniertem Spaß, in Piano-Rockerpose und schließlich im weißen Bademantel bis ins Finale und entließ ein gut gelauntes, hier und da zu Tränen gerührtes Publikum in die Bremer Frühlingsluft. Ein Publikum, das nur noch einen klitzekleinen (Lied-) Wunsch in sich trug: „Bleib doch zum Frühstück...“, Udo! Vera Makowka
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