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Archiv-Artikel

Botschafter und Brückenbauer

PANTER PREIS Turgut Altug, der dritte Panter-Kandidat 2009, bemüht sich um ökologisches Bewusstsein unter MigrantInnen in Berlin-Kreuzberg

Panter Preis 2009

Die KandidatInnen: Die sechs Nominierten werden bis zum 31. Juli in der sonntaz vorgestellt. Weitere Informationen und alle Porträts zum Nachlesen unter www.taz.de/panter

Die Preise: Die taz vergibt den LeserInnenpreis und den Jurypreis. Beide sind mit je 5.000 Euro dotiert. Am 1. August beginnt die LeserInnenwahl. Abstimmen kann man mit einem Online-Formular auf taz.de/panter, per Fax an die Nummer (0 30) 25 90 21 50 oder per Postkarte an die taz, Panter Preis 2009, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin. Einsendeschluss ist der 29. August 2009.

Die GewinnerInnen beider taz Panter Preise 2009 werden erst am 19. September auf der Bühne der Komischen Oper in Berlin bekannt gegeben.

VON ANNIKA KÜHN

Wenn Turgut Altug durch Berlin-Kreuzberg schlendert, sieht er andere Dinge als die meisten: Hier eine Pflanze, die sich durch die Gehwegplatten zwängt, dort ein Baum, dessen Wurzeln den Asphalt anheben. Und daneben viele Menschen, die das gar nicht zu schätzen wissen. Der Agrarwissenschaftler aus der Türkei kennt die Unwissenheit seiner Landsleute. Deshalb klärt er Einwanderer über Energiesparen, Mülltrennung und gesunde Ernährung auf – mit der deutschlandweit ersten Umweltorganisation für MigrantInnen, dem Türkisch-Deutschen Umweltzentrum Berlin.

„Ich will nicht nur Flyer verteilen“, erzählt Altug. „Ich will mit den Menschen sprechen und ihnen erklären, warum sie die Ressourcen unserer Erde schonend behandeln müssen.“ In Parks erinnert er die Menschen beim Picknick daran, ihren Abfall zu beseitigen. Auf Straßenfesten versucht er Kinder für Obst und Gemüse zu begeistern. Oder er lädt Frauen aus dem Kiez zu einem klimafreundlichen Frühstück in seine Einrichtung ein.

Kreativ die Message unter die Leute bringen

Altug ist kreativ, wenn es darum geht, seine Botschaft unter MigrantInnen zu verbreiten. „Denn wenn Umweltkatastrophen kommen, wird kein Unterschied zwischen Nationen gemacht. Wir müssen alle versuchen, sie zu verhindern.“

Mit dem Türkisch-Deutschen Umweltzentrum hat der 44-Jährige mit den langen, grauen Locken und dem gelben Anti-Atomkraft-Button am Pullover ein Vakuum gefüllt: „Migranten wurden früher gar nicht von Umweltorganisationen angesprochen“, sagt er. „Dabei sind Klimaschutz und Ernährung wichtige Integrationsfelder.“

Damit stand Altug recht lang allein. Bis 2006 interessierte sich niemand dafür, Einwanderer auf die Verschwendung von Strom oder die Verschmutzung von Luft und Wasser anzusprechen. Zumindest nicht, bis Altug seine Pläne dem Türkisch-Deutschen Zentrum e. V. vorstellte, das schließlich die Finanzierung des Umweltzentrums garantierte.

„Ich bin stolz, dass ich gekämpft habe und dass ich elf Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigung geben konnte“, sagt Altug und blickt sich lächelnd in seinem Büro um. Obwohl die Organisation erst im Januar in dieses Gebäude gezogen ist, sieht es aus, als hätte es sie hier schon immer gegeben. Die Möbel sind gebraucht, die Wände mit Postern über Schmetterlinge und Hinweisen auf Kurse übersät. „Es hat etwas gedauert, ehe ich meine Mitarbeiter überzeugen konnte, dass ich kein Spinner bin“, schmunzelt Altug. „Die haben anfangs gelacht. Darüber dass ich bio esse, Müll trenne und egal ob Winter oder Sommer Fahrrad fahre.“

In der Tat ist Altug bemerkenswert konsequent, wenn es um Dinge geht, die ihm am Herzen liegen. Dazu zählt auch die Gleichberechtigung der Geschlechter. Stets spricht er von „Migranten und Migrantinnen“, vergisst er die weibliche Form zu nennen, verbessert er sich. Mit einem Projekt, für das bisher noch kein Geld zur Verfügung steht, möchte Altug solche Fragen bald auch bei jungen Türken aufwerfen: In Schulen will er mit ihnen „für den Klimaschutz kochen“ und gängige Rollenbilder verkehren „Es gibt genug Männer, die nicht kochen, weil sie glauben, es sei Aufgabe der Frau“, sagt Altug. „Aber unser Geschlecht definiert doch nicht, wozu wir in der Lage sind.“

Zu was man alles fähig sein kann, lernte Altug früh. In der ländlichen Gegend, in der er aufwuchs, waren 85 Prozent Analphabeten. Sein Elternhaus hatte keinen Strom, und die Kinder der Familie mussten täglich auf dem Feld arbeiten. Hier im tiefen Süden der Türkei war es nicht üblich, das Abitur zu machen und studieren zu gehen. Altug gelang beides – als einzigem von neun Geschwistern.

„Die haben anfangs darüber gelacht, dass ich Bio esse, Müll trenne und Fahrrad fahre“

TURGUT ALTUG

Sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits entdeckt: Für die Menschen in seinem Heimatort war die Natur seit jeher die wichtigste Ressource gewesen. Sie kannten die Bedürfnisse von Pflanzen und Tieren und wussten, dass es verheerende Konsequenzen haben könnte, wenn sie sich zu sehr bei ihnen bedienten.

Ein deutscher Urlauber trug schließlich dazu bei, dass Altug mit diesem Verständnis im Gepäck nach Deutschland auswanderte. Der Bielefelder schenkte dem jungen Mann 1984 einen Aufkleber mit dem in den 80ern so gern zitierten indianischen Sprichwort: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ Altug fühlte sich verstanden und reiste los. Hier angekommen, musste der Universitätsabsolvent jedoch zunächst wieder bei null anfangen. „Ich hab’ gekellnert“, erzählt er.

Mittlerweile hat Altug einen Doktortitel und besitzt einen deutschen Pass. „Die Staatsbürgerschaft ist für mich wichtig, weil ich von gesellschaftlichen Entscheidungen, zum Beispiel dem Wahlrecht, nicht ausgeschlossen werden möchte“, sagt er. Vier Jahre hat er darum gekämpft, Deutscher werden zu dürfen.

Genau diese Erfahrungen sind es, die Altugs Stärke ausmachen: Er weiß genau, welche Probleme Einwanderer haben, was in ihnen vorgeht, und begegnet ihnen deshalb stets verständnis- und respektvoll. So berichtet er von einer alten Dame, die jedes Gewächs in seinem „Interkulturellen Garten“ im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg kannte: „Sie sprach kaum Deutsch, aber sie hatte andere Kenntnisse. Als ich ihr das gesagt habe, hat sie sich so gefreut“, erzählt der Leiter der 200 Quadratmeter großen Fläche, die von 14 Zuwandererfamilien biologisch bewirtschaftet wird. Und fasst dann in einem Satz zusammen, was ihn und sein Engagement ausmacht: „Wenn man dieselbe Sprache spricht, heißt es noch nicht, dass man sich versteht. Man muss auch wissen, wie die Kultur funktioniert, welche Bedürfnisse jemand hat.“ Und das weiß Altug.