: Bosnien vor der Frühjahrsoffensive
Bosnische Serben drohen mit Schlacht um Tuzla / US-Geheimdienst: Kroatien entsendet reguläre Truppen nach Bosnien / Schirinowski verspricht brüderliche Hilfe für Karadžić ■ Aus Wien Karl Gersuny
Alija Izetbegović zeigte gestern Entschlossenheit: Seine Regierung werde „keinen Frieden um jeden Preis“ akzeptieren, so der bosnische Präsident in einem offenen Schreiben an UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali. „Bisher wurde uns kein fairer Friedensvertrag angeboten“, so Izetbegović, „und solange keiner auf den Tisch kommt, werden wir auch nichts unterschreiben, weder jetzt noch in einem Jahr.“ Auf die jüngsten Erklärungen der UNO, die nun notfalls mit Waffengewalt die Flughäfen von Sarajevo und Tuzla sichern will, ging der bosnische Staatsführer bezeichnenderweise nicht ein. Und auch die Drohungen der bosnischen Serben vom Vortag, durch eine Generalmobilmachung „aller Kräfte die erfolgreiche Beendigung des Krieges einzuleiten“, ließ Izetbegović aus. Ein Hinweis darauf, daß auch die muslimisch-bosnische Armee die militärische Konfrontation nicht ausschlägt: Die Vorbereitungen zu neuen Offensiven laufen bei allen drei Kriegsparteien an.
Nach Schätzungen des amerikanischen Geheimdienstes hat die benachbarte Republik Kroatien in den letzten Wochen zwischen 5.000 bis 10.000 Soldaten über die Grenze nach Bosnien eingeschleust. Es geht Zagreb darum, die Verluste des verbündeten „Kroatischen Verteidigungsrates“ HVO in Zentralbosnien wieder wettzumachen. Derweil wollen die bosnischen Serben die Region um Tuzla endlich unter ihre Kontrolle bringen und den Belagerungsring um Sarajevo noch enger ziehen. Die Bosnier wiederum vertrauen auf ihre neue Kriegstaktik, auf Kampfgeist und Disziplin ihrer Kämpfer.
Zudem kalkuliert Sarajevo auch ein mögliches Eingreifen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu seinen Gunsten ein – wenn schon nicht in Form von Militärschlägen aus der Luft auf serbische Stellungen oder offener Unterstützung für die Verteidiger Sarajevos, dann doch zumindest durch die Öffnung des Flughafens von Tuzla. Eben dies aber muß Karadžić verhindern, denn sollte Tuzla, ähnlich wie Sarajevo, auch nur einen gewissen Schutz durch die UN-Blauhelme erhalten, so wäre der Traum von einem Großserbischen Reich wohl vorerst ausgeträumt. Über die ehemals jugoslawische Industriemetropole laufen sowohl die wichtigsten Handelswege von Belgrad nach Westen in die serbisch okkupierte Krajina als auch die zentrale Straßen- und Eisenbahnverbindung nach Zentralbosnien.
Daß ein muslimischer „Teilstaat“ ohne Tuzla nicht existieren kann, ist auch den UNO- und EU- Unterhändlern Lord Owen und Thorvald Stoltenberg bewußt. Die zögerlichen Europäer sind gefordert, denn die bisherigen Absichtserklärungen, den Muslimen innerhalb einer Dreiteilung Bosniens zumindest einen „lebensfähigen Teilstaat“ zuzusichern, würden sich endgültig als Luftblasen erweisen, sollte Tuzla nicht geholfen werden. Weil die serbischen Kriegstreiber dies wissen, wollen sie es nun auf eine Konfrontation ankommen lassen. Ihr Kalkül: Kneift der Westen auch diesmal, dann kann niemand mehr das Großserbische Reich aufhalten. Die Zeit würde in diesem Fall noch mehr für die Aggressoren arbeiten, denn früher oder später muß die bedingungslose Kapitulation der bedrängten Muslime erfolgen.
Dies hat wohl auch Wladimir Schirinowski begriffen. Eben erst wegen einer Kneipenschlägerei aus Slowenien ausgewiesen, versuchte der russische Neofaschistenführer gestern in Bosnien aus seinen Erkenntnissen eigenes Kapital zu schlagen. „Laßt euch nicht kleinkriegen“, ermunterte der Großrusse am Dienstag seine bosno-serbischen Freunde bei einem Besuch in der Kriegsrepublik, „der gerechte Kampf des serbischen Volkes muß weitergeführt werden.“ Wenn er erst einmal Präsident Rußlands sei, so Schirinowski zu seinem Gastgeber Karadžić, dann werde das „historische Jugoslawien“ durch „brüderliche Hilfe“ der Russen eh wieder auferstehen – so lange gelte es durchzuhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen