: Bonn schützt seine Bauern
■ Landwirtschaftsminister hält geplante EU-Agrarreform für überflüssig. Bauernverbände gegen De-facto-Sozialhilfe
Brüssel (taz) – Der Reflex aus Bonn kam wie erwartet: Die von EU-Agrarkommissar Franz Fischler vor einer Woche vorgelegten Vorschläge für eine Reform der EU-Landwirtschaftspolitik seien nicht akzeptabel. Bundesbauernminister Jochen Borchert kündigte gestern beim Treffen der EU- Agrarminister seinen Widerstand gegen Fischlers Reformen an.
Borchert ist nicht der einzige. Auch andere EU-Agrarminister, vor allem aus den südlichen Ländern, sehen trotz bevorstehender Osterweiterung keinen Reformbedarf. Sie fürchten, die Brüsseler Subventionen für ihre Bauern könnten langsam weniger werden, und wollen deshalb am liebsten alles so lassen, wie es ist. Nur aus einigen nordeuropäischen Ländern, in erster Linie aus Großbritannien, kann Fischler Unterstützung erwarten. Die EU müsse „den Realitäten ins Auge sehen“, hieß es aus London, die Agrarausgaben müßten gesenkt werden.
Im Rahmen der „Agenda 2000“, mit der die EU die Eckdaten für die Aufnahmeverhandlungen mit Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern vorgezeichnet hat, will EU- Kommissar Fischler auch die Landwirtschaftspolitik umbauen. Denn würde das jetzige System der Garantiepreise auf die Kandidatenländer ausgeweitet, müßte das EU-Budget um mindestens 50 Prozent aufgestockt werden. Schon heute gibt die EU 80 Milliarden Mark, die Hälfte ihres Budgets, für die Bauern aus. Die Verkaufspreise von zahlreichen neuen Bauern auf EU-Niveau hochzusubventionieren wäre kaum zu bezahlen. Fischler möchte deshalb die EU- Garantiepreise bei Milch erst einmal um 10 Prozent, bei Getreide um 20 und bei Fleisch um 30 Prozent reduzieren.
Das hätte nicht nur den Vorteil, daß die Grundstoffe für Lebensmittel billiger werden. Die EU könnte, so die Überlegungen Fischlers, endlich auch mehr auf den Weltmarkt exportieren. Denn die internationale Handelsorganisation WTO erlaubt für subventionierte Agrarprodukte nur eng begrenzte Ausfuhrmengen. Und die polnischen oder ungarischen Bauern produzieren schon heute zu den niedrigeren Preisen.
Den Einkommensverlust sollen die EU-Bauern als regelmäßigen Scheck direkt aus Brüssel erstattet bekommen, unabhängig von der Produktion. Doch die nationalen Bauernverbände und ihre Landwirtschaftsminister wollen nicht soweit vorausschauen. Vor 2005 sei an eine Erweiterung nicht zu denken, streut das deutsche Bauernministerium, und dann könne man immer noch sehen. Borchert träumt davon, daß die EU-Garantiepreise „vorsichtig, auf niedrigem Niveau und mit schrittweiser Anpassung“ auf die mittel- und osteuropäischen Länder ausgedehnt werden.
Die Bauernverbände sträuben sich gegen die Reform, weil direkte Einkommenshilfen zu sehr nach Sozialhilfe riechen und leicht unter Spardruck kommen könnten. Zudem möchte Fischler die direkte Unterstützung an Bedingungen knüpfen, etwa an den Verzicht auf Agrarchemie oder aktive Landschaftspflege. Alois Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen