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KASCHMIRKONFLIKT: AN DER ESKALATION IST AUCH DER WESTEN SCHULDBöse sind immer die anderen

Alles deutet darauf hin, dass sich der Konflikt zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan zuspitzen wird. Selbst ein Krieg scheint nicht mehr ausgeschlossen. Denn die Auseinandersetzungen um Kaschmir haben eine neue Qualität angenommen. Zum einen hat sich das politische Umfeld verändert: Der Konflikt ist nun Teil der „neuen Weltordnung“ (Bush) seit dem 11. September. Zum anderen hat sich der Charakter der Auseinandersetzung selbst gewandelt: Der Terroranschläge auf das indische Nationalparlament in Neu-Delhi sowie auf das Regionalparlament in Srinagar in der Problemprovinz Jammu und Kaschmir zielten nicht mehr nur auf indische Truppen und die Militärverwaltung – sondern auf das politische System Indiens insgesamt.

Wie zu erwarten war, macht Indien seinen Nachbarn indirekt verantwortlich: Pakistan greife nicht gegen islamische Organisationen durch, die, angeblich mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes ISI, die „Terroristen“ ausbilden. Seit dem Krieg gegen Afghanistan wird Indien nicht müde zu betonen, dass der islamische Terrorismus sich nicht nur gegen Amerika richte, sondern auch und vor allem gegen Indien. Bushs neue Weltordnung zeigt so ihre fatalen Folgen: Seine Aufteilung der Länder in Gut und Böse, in Terroristen und Antiterroristen lässt keine Differenzierung mehr zu. Was die USA in Afghanistan dürfen oder die Israelis in Palästina, das müsse auch den Indern erlaubt sein, schreiben amerikanische Zeitungen. Und der radikale indische Innenminister Advani fordert, dass die indische Luftwaffe ganz nach amerikanischem Vorbild Ausbildungslager in Pakistan angreifen sollte, wenn Islamabad nicht gegen sie vorgehe.

Der pakistanische Präsident Muscharraf bemüht sich um Schadensbegrenzung. Er sei bereit, eine indisch-pakistanische Untersuchungskommission einzurichten, um die Anschläge in Indien zu untersuchen. Allerdings kann er es sich innenpolitisch nicht leisten, gegen islamische Organisationen vorzugehen. Entsprechend weigert er sich, sie zu verbieten, wie von Indien und den USA gefordert. Sie seien nicht terroristisch, sondern „Freiheitskämpfer“ – solange das Kaschmirproblem nicht gelöst sei, könne er weitere Anschläge in Indien nicht verhindern.

Seit Beginn des Kaschmirkonflikts zu Anfang der 80er-Jahre sind etwa 50.000 Menschen umgekommen. Dabei ist längst klar, dass sich der Dauerkonflikt nur lösen lässt, wenn die Waffenstillstandslinie in Kaschmir als endgültige Landesgrenze zwischen beiden Staaten anerkannt wird. Doch der Afghanistankonflikt erschwert eine solche Lösung. In der neuen bipolaren Welt des „Nach dem 11. September“-Zeitalters fühlen sich alle radikalen Kräfte im Recht, und sowohl Pakistan wie Indien werden als Helfer der Amerikaner Loyalität anfordern. Der Westen, allen voran die USA, ist der einzige denkbare Mittler. Doch leider ist diese Rolle nicht zu besetzen, solange man sich in einem weltweiten Kampf der Guten gegen die Bösen wähnt. FRANK SCHLICHTMANN

Freier Journalist mit Schwerpunkt Asien

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