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Börsenprozeß: Richter befangen?

Verteidigung lehnt im Verfahren um Brandanschlag den Staatsschutzsenat ab / Zeugen mit Erinnerungslücken  ■  Aus Frankfurt Michael Blum

Die Verteidigung im Frankfurter 129a-Verfahren (Anschlag auf die Wertpapierbörse) hat am Mittwoch erneut einen Befangenheitsantrag gegen die fünf Staatsschutzrichter des 4.Strafsenats am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt gestellt. Die Rechtsanwälte werfen dem Senat vor, die vier Angeklagten vorverurteilt zu haben. Ihre Begründung: Der Senat hatte sich in der Hauptverhandlung der Darstellung einer Zeugin angeschlossen, die einen der Angeklagten kurz vor dem Anschlag unweit der Börse gesehen haben will. Dies, obwohl die Sehfähigkeit der umstrittenen Augenzeugin, die ihre ärztlich verordnete Brille zum fraglichen Zeitpunkt nicht trug, derzeit erneut überprüft werden soll.

Im Börsenprozeß müssen sich seit dem 16.Februar Sigrid H., Gabriele H., Sven S. und Stephan F. laut Anklageschrift des „Verdachts der gemeinschaftlichen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit jeweils mit schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung“ verantworten. Die Bundesanwaltschaft hält sie für Mitglieder einer sechsköpfigen Gruppe, die am 12.April 1989 gegen zehn Uhr die Frankfurter Börse betreten und etwa 40 Molotowcocktails im Gebäudeinneren geworfen haben. Sachschaden: 500.000 Westmark. Drei der Angeklagten wurden unweit der Börse festgenommen, Stephan F. wollen Zeugen später wiedererkannt haben. Er sitzt seit dem 7.Juni in Untersuchungshaft. In einem Bekennerschreiben war Bezug auf den damaligen Hungerstreik politischer Gefangenen genommen worden.

Im bisherigen Verfahren offenbarten einige Zeugen der Anklage Erinnerungslücken, andere glänzten unfreiwillig komisch mit Inkompetenzen. Die Verteidung wirft den Polizeizeugen darüberhinaus vor, „Aufklärung zu verhindern“. So hätten sich die Beamten zum Teil in massive Widersprüche verstrickt, die noch strafrechtliche Konsequenzen haben könnten. Für die Rechtsanwälte von Stephan F., Heiming und Moos, steht fest, daß ihr Mandant erst von der Polizei zum Täter gemacht wurde. So habe eine umstrittene Zeugin Stephan F. am Tag des Anschlags nicht in der Bildkartei „politisch motivierter Straftäter“ des Polizeipräsidiums Frankfurt, sondern erst Wochen später bei einer Gegenüberstellung erkannt. Tenor der Polizeibeamten: Ein Bild von F. habe es seinerzeit nicht in der einschlägigen Kartei gegeben. Überraschend tauchte dann vor Gericht doch ein Foto auf, daß aller Wahrscheinlichkeit doch aus der Bildkartei stammte. Für die Verteidiger war klar: Hätte die Polizei nach den Grundsätzen der Aktenwahrheit und Aktenklarheit korrekt ermittelt, hätte es kein Ermittlungsverfahren gegeben. So aber entstehe der Eindruck, daß die Polizei Beweismittel verfälsche. Um den Widerspruch aufzuklären, sollten die Beamten erneut geladen werden. Doch das hessische Innenministerium lehnte ab: Keine Aussagegenehmigung für die Staatsschutzbeamten. Mit dem Einblick in die Karteiführung und Ermittlungsmethoden stände das Wohl des Landes auf dem Spiel. Gegen den Staatsschutzbeamten, der die Ermittlungen führte, haben die Anwälte derweil Strafanzeige wegen Meineids gestellt: Die Staatsschutzbeamten hätten die Ermittlungsakten manipuliert. Gegen die Maulkorb-Anordnung hat die Verteidigung Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden erhoben.

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