: Bodenständige Jungs aus Meck-Pomm
Der Prozess gegen drei mutmaßliche Beteiligte an den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen schleppt sich dahin. Richter Heydorn hat damals wenig mitbekommen: Kein Fernseher in der Wohnung
SCHWERIN taz ■ Sechs Verhandlungstage, ein halbes Dutzend Zeugen mit Erinnerungslücken und jede Menge offene Fragen: Die bisherige Bilanz des Prozesses gegen drei mutmaßliche Beteiligte an den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 ist ernüchternd. Inzwischen wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft von Mecklenburg-Vorpommern die Verschleppung des Verfahrens am Schweriner Landgericht durch den Vorsitzenden Richter Horst Heydorn zumindest begünstigt hat.
Nachdem die Ermittlungen gegen die jetzigen Angeklagten schon im Sommer 1992 durch die Aussagen einer damals 16-jährigen Begleiterin der Gruppe ins Rollen gebracht worden waren, gehörten die Ermittlungen zunächst zu den so genannten „Berichtsverfahren“. Danach hält die Generalstaatsanwaltschaft des Landes das Justizministerium regelmäßig über den Stand ausgewählter Verfahren auf dem Laufenden.
Warum das „Brandstifter-Verfahren“ von der Behörde unter dem damaligen Generalstaatsanwalt und heutigen CDU-Bürgermeisterkandidat von Rostock, Alexander Prechtl, dem Justizministerium ab 1994 nicht mehr vorgelegt wurde, bleibt unklar. Deutlicher wurde hingegen am Rande des gestrigen Verhandlungstages, warum Richter Horst Heydorn die Haftbefehle gegen die jetzigen Angeklagten schon im Herbst 1992 wieder aufhob.
„Das sind Mecklenburger Jungs, die sind bodenständig. Da bestand keine Fluchtgefahr“, so Heydorn gegenüber der taz auf die Frage, warum er im September 1992 den Haftbefehl für den Angeklagten Ronny S. trotz einer offenen Bewährungsstrafe im fraglichen Zeitraum aufgehoben hatte. Im Übrigen, so Heydorn, habe er von den über drei Tage andauernden Ausschreitungen vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST) und dem Wohnheim von 120 vietnamesischen Vertragsarbeitern „nichts mitbekommen“.
Heydorn, der aus Hamburg kommend im Sommer 1992 als Richter am Amtsgericht Schwerin arbeitete, will sich nicht erinnern, im fraglichen Zeitpunkt Medienberichte über das Ereignis verfolgt zu haben. Er habe damals in einer Notwohnung ohne Fernseher gewohnt, so Heydorn.
Für die Nebenkläger Nguyen Do Thinh und den Rostocker Ausländerbeauftragten Wolfgang Richter bleiben die Details jener Nacht vom 24. August 1992 unvergesslich. Gestern schilderten sie als Zeugen vor Gericht ihre Erinnerungen. Schon Monate vor den Ausschreitungen seien die Verhältnisse vor der ZAST unhaltbar gewesen, sagte Wolfgang Richter zum Vorlauf der Ereignissse. Asylbewerber, die keinen Platz mehr in dem Plattenbau bekamen, mussten tagelang vor dem Gebäude mitten im Wohngebiet campieren. Geschockt habe in jenen Nächten der Ausschreitungen vor allem „die Welle an Hass“ und die Ungewissheit, „ob wir das Haus lebend verlassen würden“.
Die Vietnamesen waren im brennenden Haus eingeschlossen. Fassungslos hatten sie mitverfolgt, wie die Polizisten den Angreifern freie Hand ließen. Schließlich konnte sich die Gruppe durch das Aufbrechen einer Dachluke in ein Nachbarhaus retten. HEIKE KLEFFNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen