■ Querspalte: Bob am Boden
Was kann der alles wegstecken, dieser alte Haudegen und lamettabehängte Weltkriegsveteran! „Meine Frisur hat gehalten“, verkündete ein leicht derangierter Präsidentschaftskandidat Bob Dole, nachdem er auf Wahlkampftour im kalifornischen Chico – hochsymbolisch – vom Podest stürzte. Was war passiert? Der mit dem Charme eines Garderobenständers gesegnete Mann hatte sich auf der einen Meter hohen Redeplattform zu weit vorgewagt. Halb zog es ihn, halb sank er hin – in die Arme seines Volkes.
Der bis dato unnahbare Leader überwand alle Distanzen. „Die Zierbrüstung brach“, so dpa, als Dole in die Menge abtauchte. Der Notarzt stellte nach der republikanischen Luftnummer fest: „Kratzer und eine Prellung am Auge.“
CNN hielt voll drauf. Die Bauchlandung des Kandidaten flimmerte millionenfach in die Wohnzimmer. Der klinisch reine Wahlkampf der Saubermänner ist ganz unten angekommen, auf der Erde gelandet. Endlich menschelte es. Einer wie du und ich ward sichtbar: verkatert, tölpelhaft. Alles in allem eine gelungene Performance, Doles Wahlkampfteam hätte kaum besser (an)richten können.
Wir, die schadenfrohen Voyeure, sind ja nicht gerade gesegnet mit derlei telegenen Fehltritten. Da war der forsche Rühe, der beim Truppenbesuch in Somalia mit eiligem Soldatenschritt auf die Fresse flog; nicht zu vergessen der Kanzler, der im Pfälzer Wald – bestürzt vom siechenden Tann – über eine Wurzel abschmierte. Schulterprellung.
Aber sonst? Wo bleibt der sabbernde Ältestenrat, der rülpsende Außenminister, ein Fraktionschef mit offenem Hosentürl? Wo ist der furzende Papst, die lallende First Lady, der Bundespräsident mit bepinkeltem Frack? Wo bleibt zwischen Lachshäppchen und Medienbriefing, zwischen G 7-Gipfel und Diplomatenempfang, zwischen all den windschnittigen und gut gefönten Charaktermasken der kleine Rest an Menschlichkeit, die Duftmarke des Lebens: die Unzulänglichkeit? Thank you, Mister Candidate! Kriener & Worm
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