: Boahhh, ej -betr.: "Nichtwahl von Fücks ist wohltuend" (Leserbrief), taz v. 26.6.1995
Betr.: „Nicht-Wahl von Fücks ist wohltuend“ (Leserbrief), taz v.26.6.
Thomas Berger, Cordula Caspary, die Nichtwahl von Ralf Fücks in den Fraktionsvorstand der Bremer Bündnisgrünen wäre also ein revolutionärer Befreiungsakt des einfachen Fraktionsmitglieds gegen „Informationskartelle und Oligarchisierungstendenzen“ gewesen? Ein Umsetzung basisdemokratischer Ursprungs-Ideale die Wahl von Elisabeth Hackstein, Dieter Mützelburg (!) und Helga Trüpel (!!)? Sagt einmal: Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?
Seit jeher mäht der grüne Ordnungssinn periodisch alles, was den akademischen Kurzhaarschnitt des Zweiten Staatsexamens überragt. Insofern ist nur die Frage interessant, für welchen Mißerfolg Ralf Fücks diesmal büßen mußte. Antwort: Ihn traf die Abwahl stellvertretend für die Sch(l)afmützigkeit einer Gesamtpartei.
Zuvor – ihr erinnert euch – gab es die sogenannte Mitgliederbefragung der SPD, wo der SPD-Vorstand die Hälfte der Kandidaten stillschweigend löschte um urdemokratische Voraussetzungen zu schaffen. Die Grünen saßen derweil in ihrem verwunschenen Puppenstübchen und dachten, wenn Scherf kommt, kommen wir. Am liebsten überlegten sie, ob sie dann lieber zwei oder drei SenatorInnen verlangen sollten. Und die Nachrücker überlegten heftig mit...
Derweil ging die SPD zum Schokoladenonkel von der CDU, zu diesem Nölle, obwohl doch die Grünen davor gewarnt hatten. Alle Fraktiönler von Hindriksen bis Thomas waren ob dieses Verrats ihrer idealen Hofnungen empört, sie bäumten sich himmelhoch auf wie Klobürsten und sannen auf Rache und suchten Gelegenheit. Da stand die nächste Entscheidung an: die Fraktionsvorstandswahl. Jetzt konnte man handeln, jetzt gab's die Gelegenheit zur Revanche für eigene politische Fehler! Es traf Ralf als Architekten und als vollmundigsten Posauneur einer gründlich mißglückten rotgrünen Politspekulation, weil man nicht mehr die Macht hat andere zu treffen. Und es traf ihn deshalb, weil er sie alle intellektuell überragt. Es war – mit einem Wort – die Fremdenfeindlchkeit der Gartenzwerge. Gegen solche Formen des Rassismus hilft es, wenn man das Leben ohne „Oligarchisierungstendenzen“ und ohne intellektuellen Penisneid ins Auge faßt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen