: Blutbad auf dem Tempelberg
Mindestens 21 Tote bei israelisch-palästinensischen Zusammenstößen in Jerusalem ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Wie aus Krankenhäusern in Ostjerusalem gemeldet wurde, kamen bei den gestrigen, schweren Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Grenzsoldaten mindestens 21 Palästinenser ums Leben. Weit mehr als 300 wurden teils erheblich verletzt. In palästinensischen Krankenhäusern wurde vermutet, daß die Zahl der Verletzten noch weit höher liege. Eine Reihe von Hilfsbedürftigen müsse schon vor den Krankenhäusern warten, da keinerlei Aufnahmekapazitäten mehr bestünden. Auch in den Moscheen Ostjerusalems sollen sich noch zahlreiche Verletzte befinden.
Nach israelischen Polizeiangaben erlitten auch mehrere Grenzsoldaten sowie jüdische Gläubige und ein Tourist Verletzungen. Die seit vielen Jahren schwersten und blutigsten Straßenschlachten dehnten sich am Vormittag auf die gesamte Jerusalemer Altstadt aus und griffen später auch auf etliche Orte in den besetzten Gebieten über.
Über die Ursache der Zusammenstöße liegen widersprüchliche Angaben vor. Der israelische Militärsender erklärte, Palästinenser hätten innerhalb des Moscheebereichs auf dem Tempelberg jüdische Gläubige mit Steinen beworfen, die rund zehn Meter unterhalb der Klagemauer anläßlich des Laubhüttenfestes beteten. Zuvor allerdings hatten Israelis und Palästinenser übereinstimmend berichtet, es sei zu den Zusammenstößen gekommen, als Mitglieder der extremistischen jüdischen Organisation „Gläubige des Tempelbergs“ trotz eines Verbots der Polizei versuchten, den großen Platz vor der Al- Aksa-Moschee zu betreten. Die Extremisten planten — zum wiederholten Male — die „Grundsteinlegung des Dritten Tempels“, der die Moscheen auf dem Tempelberg „ersetzen“ soll.
Die Palästinenser hätten daraufhin begonnen, die israelischen Polizisten und Siedler mit Steinen zu bewerfen, hieß es von palästinensischer Seite weiter. Daraufhin habe die israelische Polizei das Feuer mit scharfer Munition eröffnet und auf „fanatische Araber“ geschossen — wie sich der Jerusalemer Polizeipräsident ausdrückte —, die sich „hysterisch“ benahmen. Nach Angaben aus unterschiedlichen Quellen behinderten die Grenzsoldaten die Arbeit der Rettungsdienste, indem sie mit Plastikmunition und Tränengasgranaten schossen, während die Krankenwagen Verletzte abtransportierten. Die Polizeistation am Eingang zum Tempelberg wurde angezündet.
Die Polizei nahm zahlreiche Palästinenser fest. Unter ihnen soll sich auch Faisal Husseini, Direktor eines palästinensischen Forschungszentrums und Leitfigur der palästinensischen Nationalstaatbewegung, befunden haben. Der radikale israelische Energieminister Neeman forderte die sofortige Deportation Husseinis. Palästinensern aus den besetzten Gebieten ist seit gestern mittag die Zufahrt nach Jerusalem untersagt.
In Tunis, dem Sitz der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) verurteilte PLO-Sprecher Abu Scharif das Blutbad und gab den Israelis die Schuld daran. Die Palästinenser seien „durch Berichte, daß fanatische Juden auf dem Tempelberg eine Gebetsstätte einrichten wollten, provoziert worden“. Scharif, der von rund 1.000 Verletzten als Folge der Vorfälle an der Klagemauer sprach, forderte ferner den Weltsicherheitsrat auf, umgehend Maßnahmen zum Schutz der Palästinenser und mit dem Ziel des Rückzugs Israels aus den besetzten Gebieten zu veranlassen.
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