: Blut und Rosen
■ War das Attentat der Arzthelferin Adelheid Streidel ein verrückter Liebesakt?
Noch weiß man nicht sehr viel über die 42jährige Attentäterin Adelheid Streidel aus Bad Neuenahr. Sie ist gelernte Arzthelferin, geschieden und stand unter der Vormundschaft ihrer Schwester, nachdem sie vor Jahren wegen versuchter Brandstiftung vorübergehend in eine Nervenklinik eingewiesen wurde. Ein politisches Motiv ist laut Polizei nicht erkennbar. Was aber ist politisch, und was ist nur verrückt? Nicht nur bei Attentaten verschwimmen hier ja die Grenzen.
Politiker und „öffentliche Personen“ aller Art dienen auch immer als Projektionsflächen. Der rote Oskar, der sinnesfreudige Oskar, der Frauenheld Oskar - für Menschen, die zu einer reaktionär vernagelten oder gar psychotischen Weltsicht neigen, kann er schnell zu einem Sinnbild des Unmoralischen, Verluderten werden, das man bekämpfen muß.
Adelheid Streidels Bluttat an Oskar Lafontaine sieht dabei wie ein psychopathisch verkehrter Liebesakt aus. Die Attentäterin Streidel kam als Verehrende, sie kam im weißen (Hochzeits?-)Kleid, mit knallrot geschminkten Lippen und einem (Braut?-)Strauß von Rosen und Nelken in der Hand. Sie drängte sich zu ihrem Ausersehenen durch und fiel ihm um den Hals, an den Hals: Sie als Braut, der Kanzlerkandidat als Bräutigam und dann eine „Bluthochzeit“ als Abwehrkampf und Selbstreinigungsprozeß.
Ob die Projektion uneingestandener sexueller Wünsche auf den „Lebemann“ Oskar und ihre blutige Abwehr das wirkliche und einzige Motiv für ihre Tat war, weiß bis jetzt niemand. Ins Bild passen jedenfalls die Berichte von Nachbarn, Adelheid Streidel habe schon mehrfach um Waffen gebeten, um sich gegen Männer zu verteidigen, die sie angeblich verfolgten.
Andererseits konnten Gerüchte nicht bestätigt werden, die Frau sei „Republikaner„-Mitglied. Daß sie in Briefkontakt mit mehreren Gefangenen gestanden haben soll, darunter auch Christian Klar, wollten Sicherheitsexperten auch eher als Spinnerei gewertet wissen, denn als irgendeine Art von politischer Überzeugung.
„Paranoide Schizophrenie“, also eine gespaltene Persönlichkeit mit Wahnideen und Halluzinationen, wird ihr nun auch von einem psychiatrischen Gutachter attestiert, der die Täterin seit gestern morgen untersuchte. Am Abend des Attentats habe sie wegen ihres Zustands nicht vernommen werden können, aber am Donnerstag morgen sei sie aussagebereit gewesen und habe auf die Fragen der Vernehmungsbeamten „normal“ geantwortet, gab die Kölner Polizeipressestelle bekannt. Es sei wahrscheinlicher, daß Frau Streidel nun in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht werde als in einer Untersuchungshaftanstalt.
Klapsmühle zu, Affe tot, Problem erledigt? In der Geschichte der politischen Attentate haben Verrückte und Psychiatrisierte schon öfter die verdrängten Aggressionen innerhalb einer Gesellschaft exekutiert.
Ist Frau Adelheid Streidel ganz alleine losmarschiert, oder fühlte sie sich als Ausführende von Massenwünschen? Das Attentat der Frau Streidel wirkt in jeder Hinsicht verrückt. Nur in einer entspricht es durchaus dem gesellschaftlichen Stand: Die bevorstehende Vereinigung der Deutschländer hat eine Unruhe in beide Gesellschaften gebracht, die deren Aggressionspotential spürbar hat ansteigen lassen. Wer es nicht glauben will, muß in die Zeitungen schauen: die Gewalttätigkeiten im normalen Alltagsleben haben deutlich zugenommen.
Ute Scheub
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