: Blues-Folk Dresche im Mutantenstadl
■ Eine laue Magazin-Nacht mit „The Siechenheim“ und „Lustige Mutanten“
Die Glotze siegt. Das wußten die „Lustigen Mutanten“, als sie die sommernächtlich Draußensitzenden am Samstag zu ihrer Konzertparty mit internationalen Gästen lockten: einfach einen Fernseher mit WM-Übertragung in den Magazinkeller stellen. Schon nach der ersten Halbzeit hatten sich genügend Schaulustige gefunden, um „The Siechenheim“ zu lauschen – den Skurril-Psychedelikern, die nur kurz spielten, weil sie mit ihrem neuen Schlagzeuger erst zweimal geübt hatten. Trotzdem boten sie in unfreiwilliger Allianz mit dem stumm weiterlaufendem Fernseher surrealistische Höhepunkte: wie in den „Tagesthemen“ nord-koreanische Kinder scheinbar zu den Rhytmen auf der Kellerbühne hüpften, war schon makaber befremdlich.
Danach trat ein Kuriosum in Bademantel und Matrosen-Outfit auf. Der männliche Teil des Duos „Robby Rockton“ verschanzte sich hinter etlichen Keyboards, mußte aber nur selten eine Taste drücken, weil der Großteil der Darbietung schon fertig abgespeichert war. Dazu sang der schlacksige Herr scheinbar wichtig Gemeintes. Ob des schlechten Sounds blieb er jedoch unverständlich, derweil sich seine Partnerin heftig hinter ihrem Mikrofon bewegte, es aber nur unerklärlich selten benutzte. Vereinzelte JublerInnen fanden sich auch für diese Art von Spektakel im Publikum, das zwischen Bekannten der Bands und Zufallsgästen eine gesunde Balance hielt.
Wie gut, daß der Mundharmonikaspieler der selbsterklärten Blues-Folk-Thrasher „The Ambulance Chasers“ aus Bremen stammt, denn sonst wären die Londoner bestimmt nicht auf die Idee gekommen, in diesem Rahmen aufzutreten. Schade wär's gewesen. Schon beim Soundcheck spielten sie ihre Vorgänger an die Wand. Besondere Überraschung: ein Elvis Costello Look-alike spielte ein griechisches Saiteninstrument, das für sich genommen klang, als wäre es alleinverantwortlich für die enervierende Erkennungsmelodie der TV-Gruselserie „Twilight Zone“. Aber in den dynamischen Bandsound integrierte es sich, wie ein alter Standard im Blues-Folk-Thrash. Etwas pikiert zeigte sich der kräftig gebaute Sänger über die Tanzunwilligkeit des Publikums trotz offensichtlicher Begeisterung. Aber weder rüde Mahnungen noch selbsttätiges Vormachen halfen – Händeklatschen und gelegentliches Zur-Theke-gehen scheint alles zu sein, was man in Bremen erwarten darf.
So rekelten sich die wenigen Hartgesottenen, die bis zum hendrixgitarrenlastigen Showdown der Schlachthof-Hauskapelle „Lustige Mutanten“ geblieben waren, schon gemütlich auf herbeigeholten Stühlen, bevor sie nach draußen entlassen wurden, wo bereits Vöglein und Blindenampeln um die Wette zwitscherten.
Andreas Neuenkirchen
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