: Bloß nicht trösten!
■ Opferhilfe in Bremen - recht unterschiedlich / Kriminalität in Bremen, Teil 10
Kriminalitätsopfer sind anstrengend: Sie erzählen nicht nur dreimal von ihrem Erlebnis, das halten Verwandte und FreundInnen ja noch aus, nein hundertmal. Daß da jedesmal noch ein kleines Detail hinzukommt und daß das wichtig ist, um das Erlebnis zu integrieren, das wissen die Angehörigen nicht. Wenn sie dann im Zuhören auch ihr eigenes Sicherheitsgefühl schwinden fühlen, fällt oft der Satz „Du mußt das jetzt endlich mal vergessen, das Leben geht doch weiter.“ Ein Satz, der auf der Tabuliste der professionellen Opferberaterin Danielle Hermans steht.
Genauso falsch findet sie Tröstungsversuche wie „Es hätte doch noch schlimmer kommen können.“ Da fühle sich ein Opfer einfach nicht mehr ernst genommen. Oder: „Das ist doch Quatsch, dauernd Angst zu haben.“ Es ist aber nicht Quatsch, jetzt überängstlich zu sein oder auch, so das Beispiel einer älteren Frau, seit dem Überfall nicht mehr zu duschen, aus Angst, dann mögliche Einbrecher zu überhören. „Das sind Symptome, die einfach zum Verarbeitungsprozeß dazugehören“, sagt Danielle Hermans, die in der Beratungsstelle für Opfer und Zeugen von Straftaten im Land Bremen (BOB), vormals Bremer Hilfe, arbeitet. Dort bekommen Opfer von nicht-sexualisierter Gewalt rechtliche und psychosoziale Hilfe. Die oft intensiven Beratungsgespräche beruhen auf einem gesprächstherapeutischen Ansatz, eine Therapie selbst wird jedoch nicht angeboten. Die lange Verarbeitungszeit, die ein Kriminalitätsopfer brauche, sei nichts Krankhaftes, also nur selten therapiebedürftig. Einem Trauernden, der, ähnlich machtlos, einen Eingriff in sein Leben erlitten habe, gestehe man ja auch eine lange Trauerphase zu.
Danielle Hermans, in den Niederlanden zur Opferberaterin ausgebildet, arbeitet mit zwei Zeugenberaterinnen und vier ausgebildeten Honorarkräften zusammen (ihr Etat ist gerade vom Senat um 30 Prozent gekürzt worden). In der Professionalität der BeraterInnen sieht sie einen wesentlichen Unterschied zur bundesweiten Opferhilfeorganisation Weißer Ring, wo fast nur Ehrenamtliche ohne spezielle Ausbildung arbeiten. „Aber man muß doch wissen, wie die Verarbeitung eines Traumas abläuft“, sagt Danielle Hermans. Vor allem müsse man eigene Gewalterfahrungen bewußt verarbeitet haben.
„Wir arbeiten mit menschlichem Beistand“, sagt dagegen Ingrid Schulz vom Weißen Ring in Bremen. Manche BeraterInnen geben sogar ihre Privatnummern an Opfer weiter. „Unsere Grenzen können wir aber erkennen, dann leiten wir weiter.“ Ingrid Schulz sieht einen wesentlichen Unterschied beispielsweise zum Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen darin, daß man beim Weißen Ring nicht versuche, „alles aus dem Opfer herauszuziehen“.
Von solch einer Praktik weiß jedoch die Psychologin Ulrike Kretschmann vom Notruf nichts. Man respektiere sehr wohl den Wunsch der Frauen, nicht über die Tat sprechen zu wollen. Direkt nach einer Gewalterfahrung könne man ohnehin nur stützen, nicht aber wie in einer Therapie problematisieren. Man überlege also mit der Frau, wie sie ihren Alltag bewältigen kann: So probiert man in Rollenspielen Sätze, mit denen die Vergewaltigte nach der Rückkehr in den Betrieb auf die neugierigen Fragen der ArbeitskollegInnen reagieren könnte.
Die Stabilität für eine Therapie, in der man sich intensiv erinnert, haben viele Opfer erst Jahre nach der Tat. Wenn es dann an die Bearbeitung des Traumas geht, löst sich mancher Knoten oft auf ganz erstaunliche Weise: Die 30jährige zum Beispiel, die wieder bei den Eltern wohnt, sich an die Mutter klammert und das Gefühl hat, nichts zu können, versteht mit einem Mal den Zusammenhang: Vergewaltigt wurde sie kurz nachdem sie als 18jährige aus dem Elternhaus ausgezogen war. Die Ablösungsproblematik wurde dann rückwirkend zu einem immensen Problem.
Christine Holch
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