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Bloß nicht nach Osten gucken...

■ ... und dabei etwa an den Solidarpakt oder ähnlich Materialistisches denken: Friedrich Dürrenmatts Besuch der alten Dame im Ernst-Deutsch-Theater

Friedrich Dürrenmatts wohl bekanntestes Stück, Der Besuch der alten Dame, hatte seine beste Zeit in den Jahren nach der Uraufführung 1956. Mehrfach verfilmt und nicht nur hierzulande meistgespielt, zog sich die tragische Komödie in den vergangenen Jahrzehnten allerdings immer mehr in die Schulen zurück und wirkt dort offenbar unermüdlich als zeitloses Lehrstück für Lernende und ihr Theater. Gerade die Zeitlosigkeit des Dreiakters scheint jedoch in den letzten Jahren wieder mehreren Regisseuren ins Auge gesprungen zu sein.

Schauplatz ist die verschlafene Ortschaft Güllen. Wie der Name schon bedeutet, riecht es hier mehr nach Jauche als nach Zaster. Seine Einwohner stellen ihre Uhren nach den vorbeifahrenden Schnellzügen – und schauen ihnen traurig hinterher. Das Leben findet eben einmal mehr woanders statt. Einzige Hoffnung der Kleinstadt ist der sehnlich erwartete Besuch der ehemaligen Bürgerin Kläri Wäscher. Nach etlichen Jahren kehrt sie als Multimilliardärin Claire Zachanassian in das verarmte Nest zurück. Doch eine Geldspende rückt die alte Dame nicht so einfach heraus: Ein Einwohner muss sterben – aus Rache. Es ist Alfred Ill, ihr damaliger Geliebter, der sie schwanger sitzen ließ und sie in die Prostitution zwang. Zwar hatte daran nie ein Güllener Anstoß genommen. Nun aber geht es um eine Milliarde für ein bisschen Gerechtigkeit, und bei so einer Summe wendet sich ja schnell das Blatt.

Heute wird die Jubiläumsspielzeit des Ernst-Deutsch-Theaters mit diesem moralischen Stück ohne moralischen Zeigefinger eröffnet. Regie führt Helmut Polixa, der vergangene Spielzeit im gleichen Haus Unter der Treppe inszenierte. Er liest das Stück als politische Parabel über das Schweigen und das Nicht-Nein-Sagen – und macht daran auch dessen Aktualität fest. Die Fragen danach, ob für Geld tatsächlich alles zu kaufen ist und ob es moralische Prinzipien gibt, die stärker sind als wirtschaftliche, sind für den Regisseur zentral. Auf einen Blick in Richtung Osten Deutschlands will sich der Regisseur dabei aber keineswegs festlegen.

Wie schon der Autor stellt sich Polixa nicht selbstgerecht über die Güllener Bevölkerung: „Das sind keine dummen Güllener, und das ist kein dummer Ill. Ill ist ein Lernender“, so seine Überzeugung. Erscheinen die Dorfbewohner bei Dürrenmatt eher als konturlose Masse, betont Polixa das Individuum: „Es sind ja genau die gleichen Menschen mit Gesicht, die zuerst gemeinsam „nein“ und dann „ja“ zum unmoralischen Angebot sagen.“

Damit diese Offerte nicht in lächerlicher Klunkerverkleidung daherkommt, wird Nicole Heesters eine clevere Geschäftsfrau geben, „mit Grazie, Witz und Eleganz“. Ihr zur Seite steht Uwe Friedrichsen in der Rolle des Ill. Für Polixa sind das „zwei Menschen, denen man noch glaubt, dass die Liebe nicht tot ist“. Und die kommt bei der alten Dame – ganz in antiker Manier – erst zur Erfüllung, wenn der Partner ins Gras gebissen hat. Für eine große Liebesgeschichte will Polixa also auch noch Platz finden in diesem trotz aller Schrecklichkeit durchaus komischen und vor allem entrümpelten Zeitstück in neuem Gewand.

Liv Heidbüchel

Premiere: heute, 20 Uhr, Ernst-Deutsch-Theater

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