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Blockaden nicht „verwerflich“

■ Amtsgericht spricht Blockierer nach Verfassungsbeschwerde frei / „Gewaltform“ Blockade nicht rechtswidrig / „Über Meinungen und Überzeugungen darf niemals inhaltlich geurteilt werden“

Aus Neu–Ulm Martin Schade

Weder sei die Nötigung bei der Sitzblockade vollends nachweisbar, noch habe er verwerflich gehandelt - folglich könne der 38jährige Karl Wenning nicht verurteilt werden. Mit diesem Freispruch für den Münchner zog am Mittwoch das Amtsgericht in Neu–Ulm einen vorläufigen Schlußstrich unter einen über dreijährigen Rechtsstreit, der auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hatte. Nach einer Verfassungsbeschwerde Wennings hatten die Karlsuher Richter im vergangenen November ausgeführt, daß Blockaden nur als rechtswidrig einzustufen seien, wenn die dabei angewendete „Gewalt“ verwerflich ist. Dies aber müsse genau geprüft werden. Wenning war von dem Neu–Ulmer Amtsgericht im Juli 1984 zu 200 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte bei den Osterdemonstrationen 1983 an mehreren kurzen Blockaden einer amerikanischen Kaserne in Neu–Ulm teilgenommen und sich widerstandslos von der Polizei wegtragen lassen. Gerade dieser fehlende Widerstand und daß die Verkehrsbehinderung am Einfahrtstor nicht „Nahziel“ der Blockade war, veranlaßte Amtsrichter Andreas Rose, die „Gewaltform“ der Blockade als nicht rechtswidrig einzustufen. Die „Fernziele“ der Demonstranten aber könnten nicht geprüft werden. „Über die Meinungen und Überzeugungen der Blockierer darf niemals inhaltlich geurteilt werden“, betonte der Richter Rose. Karl Wenning hatte seine Ziele zuvor ausführlich dargelegt. Staatsanwalt Paul Münsterer forderte jedoch auch bei dieser zweiten Verhandlung eine Geldstrafe für den Münchner von zehn Tagessätzen a 15 Mark. Gegen den Freispruch kündigte er Berufung an, denn „wir müssen hier endlich mal eine klare Rechtssprechung vor höheren Instanz haben“. Im Falle einer Verurteilung hatte Wennings Anwalt Niepel vorsorglich 13 Hilfsbeweisanträge angekündigt, mit denen unter anderem auch Kohl, Rogers, Wörner, Mechtersheimer, Klaus Vack und den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft als Zeugen oder Sachverständige laden sollten.

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