: Blinder Fleck
■ betr.: „Jugendheime kapitulieren vor der Gewalt“, „Wenn Sparen teuer wird“ (Kommentar), taz vom 13./14.9. 97
Leider fehlt in dem Artikel ein entscheidendes Wort, was die eskalierende Situation in Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen etwas differenzierter beschreiben würde: Es sind nicht Jugendliche, sondern zu 98 Prozent männliche Jugendliche, die „ihren Problemen mit zunehmender Gewaltbereitschaft begegnen.
Ist es nur Dein blinder Fleck als Journalist oder auch der der interviewten SozialarbeiterInnen, daß die Gewalt im Chip und Qfree (zumindest in diesem Artikel) nicht mit traditionell „männlichem“ und homophobem Verhalten in Verbindung gesetzt wird? Daß Mädchen schon lange Zeit viel weniger im Chip waren, wird ebenfalls nicht thematisiert. Meines Erachtens beginnt Gewalt aber mit solchen Elementen wie Dominanz in dem/Verdrängen aus dem öffentlichen Raum. Als Erklärung für die Eskalation wird lediglich unterschwellig ethnisiert – schnarch!
Mit Ausnahme der Jugendbildungsarbeit findet in der offenen gemischten Jugendarbeit in Berlin die Kritik von traditionell definierten Geschlechtsrollen leider immer noch keinen Niederschlag in entsprechenden Konzepten. Es reicht nun mal nicht, mit Jungs Computer und Fußball zu spielen (und als Sozialarbeiter/in stillschweigend zu hoffen, sich so an die Spitze des Rudels zu setzen), um bei ihnen die Orientierung am traditionell homophoben und dominanten bis offen gewalttätigen „Männlichkeits“-Stereotyp anzuknacksen!
Da gibt es die Nische der parteilichen Mädchenarbeit. Und wo bleibt die kritische Jugend- und Jungsarbeit im Alltag vieler Jugendfreizeiteinrichtungen? Zeit, daß gerade männliche Sozialarbeiter aus den Puschen kommen, was die Konzepte betrifft. Sonst haben Mädchen und alle Jungs, die anders sein wollen, wenig Schnitte. Und die Sozialarbeiter/innen und Einrichtungen auch nicht. Sabine Flohr
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