taz berlinalie: Blinde gehen ins Kino
Die Reihe ohne Bild
Unterschiedlich nimmt man Filme wahr. Wenn man in der ersten Reihe in einem der I-maxXe sitzt, wird einem schlecht und man denkt, das müsste verboten werden. In der letzten Reihe dagegen ist es meist ganz okay, und ganz ohne Bild ist Kino auch eine interessante Erfahrung. Viele Blinde gehen jedenfalls gerne ins Kino.
Die „Deutsche Hörfilm-GmbH“ stellt Audiodeskriptionen her, die den blinden Zuschauern hilft, die Filme besser zu sehen, und ist zum vierten Mal auf der Berlinale vertreten. Diesmal hatte man für den Kinderflm „Hilfe, ich bin ein Junge“ und Andreas Dresens Wettbewerbsstreifen „Halbe Treppe“ eine Audiodeskription hergestellt. Das ist eine zweite Tonspur, die man via Kopfhörer empfängt und auf der die Bilder beschrieben werden.
Seltsam, wenn man eine Weile mit geschlossenen Augen im Kino sitzt und nur die knappen Sätze hört, die Dresens „halbe Treppe“ beschreiben. Sicher entsteht etwas anderes im Kopf als bei den blinden Nebenleuten, denkt man und macht dann die Augen wieder auf. Die Audiodeskriptionen haben eine ganz eigene Poesie; eine schöne Prägnanz in der kargen Verknappung; die Audiodeskription darf ja nicht mit der eigentlichen Tonspur kollidieren. Präzision ist gefragt: „Katinka hat lange blonde Haare und ein rundes Gesicht“ oder „eine Straße im matten Licht der Straßenlaternen“.
Für den sehenden Journalisten hat es Fortbildungscharakter, sich eine Audiodekription anzuhören. Man lernt viel dabei, gerade wenn man das Gefühl hat, in Beschreibungen nicht wirklich gut zu sein, oft hatte ich mich zum Beispiel gefragt, wie man dies Kleidungsstück der Frau da nennt. Nun weiß ich’s und ein schöner „Ringelpullover“ wird mein Rosebud sein.
DETLEF KUHLBRODT
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