piwik no script img

Blinde Parteiräson

■ In Bonn wird Politik längst nicht mehr gestaltet

Der Streit um die Finanzierung des Haushalts beschädigt nicht nur das Ansehen der Regierung. Er beschädigt die Demokratie. Es ist nicht ungewöhnlich, daß über genaue Detailkenntnis nur Fachleute verfügen. Das gilt und galt auch früher schon für alle Themen, von der Ostpolitik über den Nato-Doppelbeschluß bis zur Asylfrage. Aber die zentralen politischen Fragen der Vergangenheit ließen sich in Kernaussagen zusammenfassen, die Grundprinzipien der Parteien und die Richtung ihres Gestaltungswillens widerspiegelten.

Davon kann bei der gegenwärtigen Finanzdiskussion keine Rede sein. Angesichts leerer Kassen wird Politik nicht gestaltet, sondern im günstigsten Falle verwaltet. Ob zur Deckung von Haushaltslöchern Steuererhöhungen notwendig sein werden, welche Unternehmen in welchem Umfang privatisiert werden sollen, wo gespart werden kann, in welcher Höhe eine Neuverschuldung zu verantworten ist: Diese Fragen werden von den führenden Regierungspolitikern ganz offen unter dem Gesichtspunkt wahltaktischer und parteistrategischer Überlegungen diskutiert. Mit politischer Überzeugung hat das nichts mehr zu tun.

In Hintergrundgesprächen geben viele Abgeordnete des Regierungslagers die eigene Ratlosigkeit zu. Die trübe Mischung aus komplexen finanzpolitischen Zusammenhängen und Wahlkampfstrategie macht es so manchem schwer, an das zu glauben, woran er aus Gründen der Parteiräson zu glauben hat. Unausweichliche Folge: Das Vertrauen in die Führungsspitze muß die Auseinandersetzung mit der Sachfrage ersetzen.

Seit dem Ende des Kalten Krieges fällt es allen Parteien immer schwerer, klares Profil zu entwickeln und sich als Vertreter konkurrierender Gesellschaftsmodelle zu präsentieren. Spitzt sich nun der Wahlkampf allein auf die Glaubensfrage zu, ob Kohl, Schäuble und Waigel es besser richten können als Scharping und Lafontaine oder Schröder, dann wird das allen Parteien schaden. Die öffentliche Kritik an ihnen als Institutionen der Politik wächst ohnehin ständig, ohne daß bislang erkennbar würde, ob sich andere Formen politischer Organisation in naher oder ferner Zukunft herausbilden werden. Vor diesem Hintergrund kann die Art und Weise, in der die Haushaltsdebatte geführt wird, zu nichts anderem als Verdrossenheit führen. Bettina Gaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen