: Bleib zurück im Zorn
■ John Osbornes Stück „Déjà vu“ in London uraufgeführt
Was ist ein MEP? Nein, kein Mitglied des Europaparlaments, sondern eine „Most Empty Person“, also ein Hohlkopf. Und wieso ist der Unterricht an Englands Schulen zum dümmlichen Entertainment-Programm verkommen? Weil man im Englischunterricht nicht mehr die Lyrik T.S. Eliots behandelt, sondern die Texte von Elton John. Absonderlich außerdem, so John Osborne in seinem neuesten Stück Déjà vu, das jetzt am Londoner Comedy Theatre uraufgeführt wurde, daß man Shopping Centres nach Winnie Mandela benennt und sich Bischöfe nun im lässigen Jeans- Outfit dem Habitus des tumben Pöbels anpassen.
John Osborne, inzwischen 62 Jahre alt, war ja mit seinem ProsastückBlick zurück im Zorn, das er 1955 in nur 17 Tagen schrieb, zum „Angry Young Man“ vom Dienst avanciert. Ein aufmüpfiger Bonbonverkäufer namens Jimmy Porter erregte sich damals über ein verlogenes Establishment, das sich gegen Veränderungen und Reformen hartnäckig zur Wehr setzte.
Doch auf der Bühne hatte Osborne in den letzten Jahren nichts Rechtes mehr zustande gebracht, Aufsehen erregte er zuletzt mit der im vergangenen Herbst erschienenen Autobiographie Almost a Gentleman (Faber & Faber), deren Vorabdruck im 'Observer‘ wegen der bösartigen Ausfälle gegen die vier Ex-Frauen — der unbelehrbare Osborne ist inzwischen zum fünften Mal verheiratet — für Furore sorgte.
Mit Déjà vu wollte er es seinen Kritikern also noch einmal zeigen. Um es kurz zu machen: Osborne betreibt hier plumpen Etikettenschwindel. Dieser ermüdende Monolog für seinen inzwischen gealterten Jimmy Porter, der jetzt ein gutsituierter, gealterter Gentleman vom Lande ist, hat auf der Bühne nichts zu suchen.
Wieder stecken Jimmy (Peter Egan) und sein Kumpel Cliff (Gareth Thomas) hinter den Sonntagszeitungen, wieder bügelt Alison (Alison Johnston) Jimmys Oberhemden. Doch diese Alison ist nun, wie orginell, seine 20jährige Tochter und nicht mehr, wie weiland 1956, die Ehefrau. Und natürlich hat Jimmy mit Alisons Freundin Helena (Eve Matheson) eine Affäre — auch die darf dann beflissen seine Hemden bügeln. Außer Jimmys Tiraden über Aids-Konzerte, die für alle Übel dieser Welt verantwortlichen Kleinbürger und anderen dämlichen Sprüchen über Schwule, gute Europäer, Feministinnen und Salman Rushdie („Sushdie“) hat diese von Opern-Regisseur Tony Palmer arrangierte Seance nichts zu bieten. Immer dann, wenn die müden Wortwechsel ins Stocken geraten, wenden sich Jimmy und Cliff an einen Teddybären, der einen dominierenden Platz auf einem Beistelltisch einnimmt. Diese an Teddy adressierten Sätze zeigen überdeutlich, wie wehleidig, melodramatisch und schwülstig der Theater-Revoluzzer der fünfziger Jahre inzwischen geworden ist.
Osborne hatte sich zuletzt als Kolumnist für das Wochenblatt 'Spectator‘ ein Zubrot verdient. Da konnte er sich dann genüßlich über blöde Eurokraten, rabiate Jugendliche und den allgemeinen Niedergang der feinen englischen Art erregen. Mit seinem Pseudostück Déjà vu gelang ihm nun das einmalige Kunststück, diese reaktionären Phrasen zum Bühnenmonolog umzufunktionieren. Der Anstandsapplaus für den sich wacker schlagenden Hauptdarsteller Peter Egan signalisierte, daß man zwar Egans dreistündige rhetorische Schwerarbeit, nicht jedoch diese ausufernde Nörgelei des Zettelkasten-Monomanen Osborne honorieren wollte. Peter Münder
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