: Blanker Zynismus-betr.: "Kommt jetzt das Ende des Kapitalismus?", taz vom 17.2.90
betr.: „Kommt jetzt das Ende des Kapitalismus?“, taz vom 17.2.90
In seiner Antwort auf Robert Kurz plustert sich Hübner als souveräner Fachökonom gegenüber dem „orthodoxen Marxisten“ auf, der immer noch in angeblich leninistischen Träumereien über einen Zusammenbruch des Kapitalismus schwelge. Daß Lenin mit keinem Wort von einem Zusammenbruch aufgrund der entfesselten und über sich selbst hinaustreibenden Verwertungslogik spricht, sondern ganz im Gegenteil ein „Verfaulen“ wegen eines Stillstands der Konkurrenz im vermeintlichen „Monokapitalismus“ prognostiziert, sei hier nur en passant angemerkt.
Im übrigen stellt Hübner in seiner Replik nur noch ein weiteres Mal unter Beweis, daß sein „Realismus“ in einer blinden Affirmation eben dieser Verwertungslogik besteht, die er aber bitte schön sozial abfedern möchte. Dabei ist er inzwischen sogar so unverfroren „realistisch“, daß es ihm genügt, diese „soziale Abfederung“ auf die kapitalistischen Zentren des Westens zu begrenzen. Wie anders sollten sonst seine Bemerkungen zu verstehen sein, die Länder der Dritten Welt seien ohnehin seit Jahren einer „Kreditrationierung seitens der privaten Banken ausgesetzt“ und die privaten Banken würden sicherlich „solide westliche Schuldner den risikobehafteten östlichen Schuldnern vorziehen“? Sollen sie doch verrecken, müßte man Hübner ergänzen, und die guten Deutschen aus dem Osten kommen unter bundesrepublikanische Fittiche. Dieser blanke Zynismus, der im Gewand des fachsimpelnden Ökonomen daherkommt, ist eigentlich ohne Wutanfall nur dadurch zu ertragen, daß eben dieser Ökonom auch nichts begriffen hat. Nicht die Verschuldung der Dritten Welt war der Motor des Booms der achtziger Jahre, sondern die Verschuldung maßgeblicher Länder des Westens und die parallel dazu stattfindende Kapitalmarktspekulation. Auf beiden Schauplätzen knirscht es schon seit einiger Zeit mächtig im Gebälk. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ wäre also nicht die Ursache, sondern lediglich der letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt, ein Tropfen allerdings erheblichen Ausmaßes, der eben nicht mit Hinweis auf die „geldpolitischen Möglichkeiten der Bundesbank“ weggewischt werden kann.
Die 'Wirtschaftswoche‘ vom 12.1.90 schätzt, daß etwa 1.300 Milliarden DM notwendig sind, um die DDR annähernd auf Weltmarktniveau zu bringen, und in ihrer Ausgabe vom 16.2. schreibt sie, daß bei nur 2,5 bis drei Millionen Arbeitslosen und einer monatlichen Unterstützung von 500 DM 15 bis 18 Milliarden DM pro Jahr allein dafür anfallen. Aber das dürfte für Hübner kein Problem sein, denn „angesichts des niedrigen Lohnniveaus bei gleichzeitiger Einführung des BRD-Preisniveaus wird sich auf absehbare Zeit kein Kaufboom einstellen“. Ich würde den lieben NeubürgerInnen empfehlen, mit Rücksicht auf die Stabilität der DM die stolze Summe von 500 Mark lieber zu sparen als zu verknuspern, denn wir haben nach dem Krieg auch nicht gepraßt, nicht wahr, Genosse Hübner?
Norbert Trenkle, Nürnberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen