Black Lives Matter im US-Baseball: Zeit für neue Zahlen
Die Major League Baseball in den USA wird die Statistiken der sogenannten Negro Leagues anerkennen. Es ist ein später Schritt zur Gleichberechtigung.
Würde Leroy Robert Paige heute leben und Baseball spielen, er wäre ein Superstar. Nicht nur war Paige, den alle nur „Satchel“ nannten, zu seinen besten Tagen, damals in den 30er und 40er Jahren, der wohl beste Pitcher, den der Sport bis dahin gesehen hatte. Keiner warf den Ball so hart wie er. Paige war aber vor allem auch einer, der das Rampenlicht liebte und der für seine exzentrische Art von den Massen in den Stadien geliebt wurde.
Er sah gut aus, war eloquent und selbstbewusst bis zur Arroganz. „Ich renne nicht so gerne“, sagte er einmal, „ich trainiere, indem ich vorsichtig von der Bank aufstehe und mich wieder hinsetze.“ Auch der Regenbogenpresse lieferte er verlässlich Stoff: Seine erste Frau überreichte ihm die Scheidungspapiere auf dem Spielfeld.
Aber blickt man in die Rekordbücher, könnte man denken, Satchel Paige war nur eine Randnotiz in der über anderthalb Jahrhunderte langen Geschichte der Major Leagues. In gerade mal 179 Spielen taucht er auf, nur 28 Siege hat er auf dem Konto – Zahlen, die manche Spieler in einer einzigen Saison schaffen. Die Erklärung ist simpel: Sein Debüt auf der großen Bühne feierte Paige mit den Cleveland Indians 1948 im gesegneten Alter von 42 Jahren.
Schuld war die Rassentrennung: Erst ein Jahr zuvor hatte Jackie Robinson Geschichte geschrieben, als er als erster Afroamerikaner die zwar nicht offizielle, aber bis dahin sehr feste Rassenschranke durchbrochen hatte, die damals zwei Major Leagues gezogen hatten.
Rassentrennung im Baseball
Bevor sie in einer rassistisch aufgeheizten Stimmung in der American und der National League, deren Klubbesitzer sich lange gegen die Integration gewehrt hatten, auflaufen konnten, hatten Robinson, Paige und Tausende andere, die gut genug für die Major Leagues gewesen wären, in den sogenannten Negro Leagues gespielt. Dort, glauben manche Experten, war das Niveau teils höher als in den offiziellen, nur mit Weißen besetzten Major Leagues – auf jeden Fall aber von einigen Ligen aus der Frühzeit des professionellen Baseball im 19. Jahrhundert, die ebenfalls als Major Leagues anerkannt sind.
Der Unterhaltungswert war oft besser, ein mehrheitlich schwarzes Publikum strömte in die Stadien. Heute sind die größten Stars der Negro Leagues aufgenommen in die Hall of Fame, die Ehrentafeln von Satchel Paige oder Josh Gibson hängen in Cooperstown neben denen von Babe Ruth oder Joe DiMaggio.
Die Gleichberechtigung endete aber bislang bei den Statistiken. Und Statistiken sind wichtig, sehr wichtig im Baseball, das wie kein anderer Sport davon lebt, dass die Fans Homeruns zählen und Schlagdurchschnitte abgleichen. Die Statistiken der Negro Leagues aber wurden von den Major Leagues nicht offiziell anerkannt. Diese historische Ungerechtigkeit ist seit Mittwoch Geschichte: Da verkündete die MLB, dass sie künftig die Statistiken der sieben Negro Leagues von 1920 bis 1948 als gleichberechtigt zu denen der American und der National League werten wird. „Alle, die Baseball lieben, haben schon lange gewusst, dass die Negro Leagues einige der besten Spieler, Innovationen und Triumphe hervorgebracht haben – und das trotz aller Ungerechtigkeit“, verkündete MLB-Chef Rob Manfred.
Es ist das Ende eines langen, von Sporthistoriker, Gesellschaftswissenschaftler und Aktivisten geführten Kampfes, der mit den jüngsten Black-Lives-Matter-Protesten noch einmal Fahrt aufnehmen konnte. Wie absurd die Rassentrennung nicht zuletzt aus sportlicher Sicht gewesen war, bewiesen Robinson, Paige und andere Pioniere, als sie in den späten 40ern ihre Kollegen oft noch blasser aussehen ließen, als sie eh schon waren.
Selbst Paige in seinem biblischen Alter warf den Ball noch schneller als die viel jüngere Konkurrenz. „Er war der beste, gegen den ich je antreten musste“, bescheinigte die Legende Joe DiMaggio, „keiner warf so hart.“ Wie diese Dominanz sich demnächst in den offiziellen Statistiken ablesen wird, ist noch unklar. Denn die Aufzeichnungen aus den Negro Leagues sind oft unvollständig. Seit Jahrzehnten wühlen sich Baseball-Verrückte durch die staubigen Archive von Lokalzeitungen und Nachlässen, um die Rekordbücher zu vervollständigen.
Was das für Satchel Paige bedeutet? Er wird auf jeden Fall mit mehr als nur 28 siegreich absolvierten Spielen aufgelistet. Aber ob es die 2.000 sein werden, die er nach eigener Aussage in seiner Karriere gewonnen hat? Den Rekord hält ein gewisser Cy Young, der 511 Siege sammelte von 1890 bis 1911.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden