ZWISCHEN DEN RILLEN : Bitte die Augen schließen
bEEdEEgEE: „Sum/One“ (4AD/Beggars/Indigo)
Eigentlich will man so etwas nicht mehr hören. Eigentlich ist einem solche Musik durch die Coffee Companys dieser Welt verleidet, die durch den Einsatz jener Töne für entspannte Stimmung sorgen wollen. Dass es noch eine andere Tradition entspannter, dahinpluckernder Elektronik gibt, ruft einem Brian DeGraw alias bEEdEEgEE gleich mit dem Intro seines Soloalbums „Sum/One“ in Erinnerung: „At least to begin with/I would recommend to close your eyes,“ empfiehlt da eine Stimme.
Diese Tracks wollen uns kein austauschbares Oberflächengefühl von Sicherheit vermitteln wie die sonaren Beruhigungsmittel aus den Kaffeehausketten. Vielmehr: die Augen schließen und zuhören – den verschlungenen Linien der DeGraw’schen Soundscapes, die sich entspannt ihren Weg vom experimentellen Klang bis zum Popsong bahnen. „I would recommend to close your eyes“: Was dann im Track „Helium Anchor“ folgt, sind sphärische Geräusche, kleine Melodien und Patterns als deren Quellen unschwer Synthesizer und Keyboards zu erkennen sind.
Mit Leihstimmen
Das ist nicht weiter verwunderlich, ist Brian DeGraws eigentliches musikalisches Projekt doch die experimentelle Elektronikband Gang Gang Dance, wo er die Tasteninstrumente bedient. Gleich für den zweiten Track, „Lika A Rain Man“, hat er Lizzi Bougatsos, Sängerin und Kollegin von Gang Gang Dance, eingeladen, einige Vocals beizutragen oder besser: ihm ihre Stimme als Instrument zu leihen. Seine anderen Gäste, Hot Chips Alexis Taylor und Lovefoxxx von CSS dürfen da etwas mehr beitragen, was die Tracks aber nicht unbedingt stärker macht. Denn wo sich DeGraw zu sehr auf das Format Elektropopsong einlässt wie im Lovefoxxx-Feature „Flowers“, wird es schnell belanglos und allzu erwartbar.
Demgegenüber stehen Tracks, in denen zwar eine gewisse Verspieltheit und die Lust am Sound hervortritt, die sich aber nicht zu einer Einheit fügen. Sie sind eher eine Sammlung als eine Summe von Klangblöcken. Man könnte auch sagen: Viele Ideen, aber nicht alle wirklich zu Ende geführt.
Die Stärken des Albums – und das ist von DeGraws Arbeit mit Gang Gang Dance bereits bekannt – liegen dort, wo er Musik Zeit lässt, sich zu entwickeln. „Overlook“ ist so ein Track – neben „Like A Rain Man“ der stärkste Beitrag auf „Sum/One“. Ulkige Synthie-Vocals, dazu eine Frauenstimme und ein nervöser Beat. Im Verlauf des Tracks werden die Grenzen dieser Kombination ausgelotet: Die Synthie-Vocals begeben sich in die Höhen der Frauenstimme und wieder zurück, der Beat hat von zurückgelehnt bis treibend alle Register der Bassdynamik im Repertoire.
Trotzdem hält er „Overlook“ zusammen – das Prinzip „Sum/One“ funktioniert. So driftet man „durch Balearic-House, TripHop, Hypnagogic-Pop und ihre Hybridisierungen. Man freut sich über gelungene und witzige Einfälle, wird im Genuss jedoch gelegentlich durch schnelle Wechsel unterbrochen. Oder noch schlimmer: Es stellt sich Coffeeketten-Gemütlichkeit ein. Wenn man die Augen dann nach einem Album-Durchlauf wieder aufmacht, ist man gedanklich nah bei Gang Gang Dance. Vielleicht ist es auch ein Problem der Erwartungen: Wenn man weiß, was für großartige Alben diese Band gemacht hat, wirkt „Sum/One“ trotz seiner Eigenständigkeit wie eine Sammlung von Sounds und Songs, die es nicht geschafft haben. Gut, aber eben nicht der ganz große Wurf. Brian DeGraw wird es verkraften können. ELIAS KREUZMAIR