Bits and Pieces Gespräch und Selbstgespräch: Bernd Cailloux’„Surabaya Gold – Haschischgeschichten“: Kiffen am Rande der Reha
von Detlef Kuhlbrodt
Ausnahmsweise bin ich zu früh und will noch schnell eine rauchen. Kaum hab ich die Zigarette angezündet, kommt Bernd Cailloux. Er sagt, er sei schlechter Laune. Seit drei Wochen versuche er, sich das Rauchen abzugewöhnen. „Der siebte Versuch.“ Ich entschuldige mich, dass ich rauche. Er geht davon aus, dass es nicht der letzte Versuch sein wird. Statistisch gesehen brauche man acht. Es stört ihn auch, dass es sein langjähriges Stammcafé nicht mehr gibt. Im „Bilderbuch“ in der Akazienstraße fühlt er sich noch nicht ganz heimisch. Es sähe aus wie ein postrevolutionäres Café. „Alles ist vorbei und der Biedermeier ist da.“
Ich bin ein großer Bewunderer seines Romans „Das Geschäftsjahr 1968/69“, in dem er von dem, also seinem damaligen Hippie-Start-up-Unternehmen erzählt, das das erste diskoreife Stroboskoplicht erfunden hatte und damit durch die Gegend getourt war. Ein sehr präziser, lakonischer 68er Roman mit vielen verdrogten Helden. Superbuch.
Manchmal standen wir am Rande von Veranstaltungen zusammen und rauchten. Das letzte Mal bei Suhrkamp im Garten. Auf der Rückfahrt in der S-Bahn hatte er von seinem Fußballunfall erzählt. Wie er beinahe gestorben wäre. Ein falscher Kopfball. Eine Flanke, scharf geschlagen. Obwohl er wusste, dass er den Ball nicht verwerten können würde, war er gesprungen, vielleicht auch, weil ein Mitspieler ihm oft gesagt hätte, er strenge sich zu wenig an. Er hatte den Ball sehr unglücklich getroffen. Dann gab es ein schweres Jahr, und „zwischen den vier Hirnoperationen hab ich das Buch geschrieben. Dass hat mich entspannt.“
Das neue Buch heißt nun „Surabaya Gold“, im Untertitel „Haschischgeschichten“. Eine mit zwei Teenagerfreunden beginnt 1962; eine andere mit einem älteren Zuhörer, der am Rande der Reha kifft, spielt in der Gegenwart. Frauen sind dabei, die mit kleinen Flugzeugen fliegen, Seefahrer, Kiffergruppen, übermütige junge Gangster; manche sind eher bürgerlich, andere nicht. „Verschiedene Phasen des Phänomens werden erzählt“, und dazwischen gibt es „Bits and pieces“ genannte Miniszenen. Über zwei junge Besucher einer Cailloux-Lesung etwa, deren Freundschaft in Gefahr ist, weil der eine kifft und der andere nicht. Sie wollen vom Autor wissen, was sie tun sollen. Er rät ihnen: „Unbedingt weiterhin Freunde bleiben … “
Beim Lesen denkt man manchmal an Walter Benjamins Aufsatz über den Erzähler und seinen Satz „Erfahrung, die von Mund zu Mund geht, ist die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft haben“. In Cailloux’ „Haschischgeschichten“ wird oft erzählt, es gibt Erinnerungen und manchmal auch plappernde Kifferrunden. Der Ton ist alterssouverän und das kleine Buch sehr schön gestaltet.
„Ich hab ja schon fünf Erzählbände gemacht, und es ist nun das erste Mal, wo ich mit allem einverstanden bin. Ich bin zufrieden. Und das ist selten.“
Langsam bessert sich Cailloux’Laune. Wahrscheinlich, weil ich nicht rauchen darf.
Die Zeit der Lightshows
Bei zwei, drei Geschichten sei es ihm darum gegangen, wie das Bürgertum reagiert. Immer noch ein bisschen empört, erinnert er sich an die Lightshow-Zeit, Ende der 60er, an „verschiedene Leute in Düsseldorf und Hamburg, die uns eingeladen hatten, weil sie sonst keinen Weg zum Haschisch gefunden hätten. Das war ja schwer für Bürger im besten Alter.“
Gern hätte er noch mehr Geschichten mit Älteren reingenommen, aber es sind ihm keine mehr eingefallen.
„Neulich bei einer Veranstaltung mit Peter Brötzmann traf ich einen ganz alten Bekannten, der auch um die 70 pendelt, und der machte sich dann so ein Pfeifchen. Ich fand das eigentlich sehr schön; zum Erzählen ist es ja auch gut.
Cailloux erzählt von Kneipen, in denen ganze Tische kifften, von Razzien im „Park“ oben am Ku’damm. Und wie er 1970 das erste Mal in den USA war, ganz schüchtern auf einem Grateful- Dead-Konzert in San Francisco. Dass der Joint immer weiter gereicht wurde, hatte ihn sehr beeindruckt.
„Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, das soziale Miteinander dieser großen, großen Gruppe der Hippies und ihrer Verwandten. Das war ganz toll.“
Er gerät ins Erzählen kleiner Geschichten aus seiner Lightshow-Unternehmerzeit. „Das Unternehmen hieß ‚the leisure society‘. Die Gruppe war zu 80 Prozent verdrogt, sodass in den Firmenräumen im vornehmen Hamburger Mittelweg häufiger das R-Dezernat auftauchte.
„Die sagten dann zu mir als Inhaber: Krempeln Sie mal die Arme hoch! Müssen Sie nicht. Aber es kürzt die Dinge ab. Es ist eine vertrauensbildende Maßnahme.
Ich machte das, und später kam so nach und nach raus, dass sie uns im Verdacht hatten, ein Schieberring zu sein. Die konnten sich nicht vorstellen, dass man mit diesen elektronischen Lichtmaschinen Geld verdienen kann.
Ich hab häufig mit denen telefoniert. Auch wenn wieder einer meiner Jungs unangenehm aufgefallen war vor irgendeiner Apotheke. Es kam zu nichts. Aber im ‚Grünspan‘konnte ich Leute manchmal retten, wenn die gerade im Begriff waren, einem Mann vom R-Dezernat was zu verkaufen. Dann bin ich zu dem Dealer hingegangen und hab gesagt: Pass auf, geh weg, lass das! Den Mann kenn ich, der war bei mir schon öfter im Studio. Das ist der R-Dezernatskommissar Sowieso. Dann waren die natürlich dankbar. Und es fiel immer ein Stück ab.
Hamburg war sehr schnell um 1970 herum kriminalisiert. Da gab’s sofort Großdealer, die mit allen möglichen Tricks Sachen angeschafft haben. Einer war sehr groß, der hieß Kurmann. Ich war mit seiner Geliebten befreundet, die viel allein war, weil er ja weltweit unterwegs war.
Das waren schon witzige Leute, die ersten Drogengangster. Die kamen ja aus der Szene. Die waren ja nicht aus dem Tresorgeschäft oder anderen Sparten der Gangsterei, sondern sozusagen Spätstudenten.
Lustig war dieser Kompagnon von dem Kurmann. Der kam gerade ausm kolumbianischen Knast und war vollkommen verrückt, weil er wieder in Freiheit war. Den hab ich in einer Nacht kennengelernt. Ich trennte mich gerade oder wollte die Ehe retten mit einem neuen großen Bett, jedenfalls wollte ich ihm ein Bett abkaufen. Und dann sind wir in seine Wohnung gefahren. Das war ein bürgerliches Wohnhaus am Gänsemarkt mitten in der Innenstadt. Und der hatte die Macke, dauernd zu schießen. Der schoss immer in die Decke. Und überall waren diese Einschusslöcher. Na ja; ‚Fear and Loathing in Las Vegas‘, das gab’s hier auch; nur ein bisschen abgeschwächter.“
Von dem Vorschlag, Cannabis zu legalisieren, hält Cailloux nicht so viel: „Vielen Dank. Aber danach ist der Thrill der konspirativen Tat, des kleinen rebellischen Akts des Deals weg … Die Mehrwertsteuer kommt, allein der Freigabeantrag der Grünen hat 50 Seiten …“
Bernd Cailloux
Auch über Colorado kann er sich aufregen: „Haschisch als Cannabis-Yoga. Cannabis-Kochkurse, City-Guide-Touren im Bus mit Cannabis …“
Im Nachwort von „Surabaya Gold“ heißt es: „Reglementierungen aber widersprechen dem Geist der Droge. Haschisch hat seine Riten und damit eine ganz eigene, unberechenbare Aura.“
„Und wenn man es hier freigeben würde, würde der illegale Handel ja trotzdem weitergehen“, sagt Cailloux. „Weil es bequemer ist vielleicht, weil es billiger ist vielleicht oder weil man eine Bindung hat an den jeweiligen Dealer.“
Hat er selbst mal eine Weile ausführlicher gekifft?
„Das klingt natürlich komisch, wenn ich so ein Buch rausbringe, aber ich bin kein Kiffer. Aber wahrscheinlich leb ich wie einer, entschleunigt, regierungsfern, mit'ner Prise Paranoia – doch Erfahrung hab ich mindestens so viel wie Bill Clinton.“
Haschisch? Adrenalin!
„Alle Drogen sind ambivalent, aber das Haschisch fand ich extrem unvorhersehbar und unberechenbar. Es hat mich schwer verwirrt. Wenn ich Haschisch rauche, dann geht es richtig rund. In mir geht es sowieso schon rund genug. Leuten, die ganz straight denken und zielorientiert sind, würde ich es empfehlen, aber Leuten, die sowieso schon vor sich hin chaotisieren, würd ich abraten. Meine Lieblingsdroge ist eigentlich Adrenalin. Adrenalin ist das Größte. Selbst erzeugt durch Joggen und Kicken. Alles ist verschwunden, was einen stört. Adrenalin legt sich über einen. Gibt nichts Besseres. Na gut – Koks war auch eine Zeit lang meine größte Schwäche.“
Zum Abschied gibt mir Cailloux noch Folgendes zu bedenken: „ ‚Haschisch ist die Hefe des Denkens‘, schreibt der Wanderderwisch Ahmad – ich sage, es ist ein probates Mittelchen fürs genussvolles Auskosten der Selbstkritik … und unterhaltsam auch, weil’s das Kurioseste aus den entlegenen Ecken des Bewusstseins holt.“
Bernd Cailloux: „Surabaya Gold – Haschischgeschichten“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 139 Seiten, 10 Euro
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