Esoterik unter Strom: Grüße an die Lichtwesen
Erleuchtete Esoteriker_innen machen mich fertig. Aber die Idee, dass in allen Maschinen kleine Elementarwesen für uns arbeiten, finde ich lustig.

D urch unseren Sohn Willi habe ich viel mit behinderten Menschen zu tun. Das kann manchmal ziemlich anstrengend sein. Im Vergleich zu dauererleuchteten Esoteriker_innen ist das jedoch gar nichts. Die machen mich fertig.
Eine sehr durchgeisterte Bekannte von mir teilt mir im Prinzip durchgängig ergriffen mit, wie bedeutsam sie alles findet. Überall fühlt sie Energie und Seelenverwandtschaft und ist wahnsinnig bewegt. Wenn wir einen Waldspaziergang machen wollen, schmerzt mir nach einer Stunde schon das ganze Gesicht vom wohlwollenden Lächeln, weil ich einfach nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Zu dem Zeitpunkt haben wir meist noch nicht mal das Haus verlassen – geschweige denn, dass sie ihren Schlüssel gefunden hat.
Ich empfinde Natur auch als beseelt, aber warum muss man das ständig zerlabern? Sobald ich das Wort „Kraftort“ nur höre, verpuffen alle meine Empfindungen. Wenn ich versuche, mich von der Frau zu verabschieden, dauert es meist noch eine ganze Stunde, während der sie meinen Arm umfasst hält und ich mir anhören muss, wie sehr unser Gespräch (und ihre überteuerten Kurse irgendeiner Heilslehre bei unheimlich weisen Leuten, von denen ich noch nie was gehört habe) sie innerlich weitergebracht hat.
Das ist auch mein Problem mit der Anthroposophie. Willi hat an seiner Waldorf-Förderschule die beste Schulzeit erlebt, die man nur haben kann. Er hat auch viele spirituelle Momente dort erfahren – aber über die pseudowissenschaftlichen Hintergründe dazu möchte ich keinesfalls etwas hören, da bekomme ich spontan Durchfall.
So ähnlich geht es mir mit Demeter-Gemüse. Also nicht, dass ich davon Durchfall bekomme: Ich glaube, dass es richtig gut und echt bio ist, doch über die esoterischen Steiner-Dogmen der biodynamischen Landwirtschaft will ich nichts wissen. Da werden zermahlene Bergkristalle in Kuhhörner gefüllt und bei Neumond in der Erde vergraben. Hallo? Immerhin tut es niemandem weh und die Tomaten schmecken super.
In die Elektrizität gezwungen
Ganz anders verhält es sich mutmaßlich bei der Solaranlage, die wir mit einer Gemeinschaft auf einem Hallendach errichten möchten. Denn – so habe ich gelernt – in einer Photovoltaikanlage werden Lichtwesen brutal versklavt. Es ist wirklich zu interessant, woran Menschen so alles glauben. Falls das ein Gleichnis sein soll, dass uns zu mehr Ehrfurcht vor den Gaben der Natur mahnen soll, komme ich da noch mit.
Doch die Annahme, dass in allen Maschinen kleine Elementarwesen für uns arbeiten, finde ich einfach nur lustig. Sie fühlen sich in rein mechanischen Geräten übrigens sehr wohl, zum Beispiel in einem Spinnrad oder Tretroller. Aber in moderne technische Geräte werden sie hineingerissen und in die Elektrizität gezwungen. Glücklicherweise gibt es Fachleute, die Elementarwesen aus Mobilfunkmasten oder Solaranlagen erlösen können. Sie erklären ihnen (unter Anrufung allerlei Geister, inklusive Jesus Christus), wofür ihre Arbeit gut ist, und bitten sie um Harmonisierung.
Eine solche Erlösungsarbeit kommt aber nicht ganz billig und muss regelmäßig wiederholt werden. Sobald ich für den Hokuspokus jedoch mitbezahlen soll, finde ich ihn nur noch halb so witzig. Aber auf den Teil, in dem wir Anwohner die Elementarwesen in der PV-Anlage morgens immer freundlich grüßen, um den Kontakt mit ihnen zu halten, freue ich mich schon.
Die Person, für die das ganze Theater veranstaltet werden soll, habe ich nämlich noch nie freundlich grüßen sehen. Immerhin weiß ich jetzt, warum wir zu Hause auch ohne solche okkulten Mediationen keine negativen Auswirkungen durch die Solarzellen auf unserem Dach spüren. Mein Mann kümmert sich anscheinend intuitiv ganz reizend um seine lieben Lichtwesen, indem er praktisch durchgängig sein Glück über den von ihnen erzeugten Strom laut zum Ausdruck bringt.
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