: Bioethikkonvention
■ betr.: „Was ist mit ,minimalen Risi ken‘ gemeint?“, taz vom 23. 9. 96, „(Un-)verantwortliche Menschen versuche“, taz vom 26. 9. 96, „Ein menschenfreundlicher Kompro miß“, taz vom 27. 9. 96
Sehr geehrter Herr Rath, glauben Sie wirklich, die jahrelange, gezielt vor der Öffentlichkeit geheimgehaltene Arbeit des Lenkungsausschusses der Bioethikkonvention hätte nur das Ziel gehabt, nichteinwilligungsfähigen Menschen Blutproben entnehmen zu können? Sind Sie im Ernst der Ansicht, wir befänden uns in einer Zeit zunehmender Menschlichkeit, in der die Politiker in erster Linie das Wohl der Bürger im Auge haben? Glauben Sie, die Bürger seien gut beraten, wenn sie auf beteuernde Absichtserklärungen in Präambeln politischer Papiere vertrauen? Leben wir nicht vielmehr in einer Zeit zunehmenden Elends und zunehmender Finanzierungsschwierigkeiten der medizinischen Grundversorgung?
Meiner Meinung nach soll die Bioethikkonvention die im heutigen Kosten-Nutzen-Zeitgeist liegende Relativierung der Menschenrechte auf eine rechtlich fixierte Grundlage stellen. Das steht im Einklang mit Formulierungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die für die Forschung Vorrang vor den Belangen der Menschen fordert, und dem Rückgang der Kaufkraft der Sozialhilfe, die einst als Möglichkeit zur menschenwürdigen Teilnahme am Leben dieser Gesellschaft definiert wurde. Der erschreckendste, massivste Schritt in dieser Richtung war bisher die eugenische Formulierung im Programm „Prädikative Medizin“ der Kommission in Brüssel. Die Bioethikkonvention ist der nächste Schritt auf der europäischen Ebene, wie wird der übernächste aussehen? Sie, Herr Rath, fallen mit Ihren Artikeln all denen in den Rücken, die für einen Erhalt der Menschenrechte in der jetzigen Form kämpfen. Sie sagen, damit würde ein Mindestschutz vor medizinischen (Versuchs)eingriffen garantiert. Aber sehen Sie nicht auch, daß hier eine Grenze hinter der jetzigen Grenze gezogen wird? Es sollen Versuche erlaubt sein, die bisher verboten sind. Das schreiben sie sogar selbst. Die Bioethikkonvention betont den Schutz für Menschen in einer Weise, als seien sie jetzt schutzlos. Und – sozusagen unter dem Schutzschild dieser Behauptung soll uns eine ausgedehnte Variante von Menschenrechten untergejubelt werden. Und daß unsere Regierung nicht verpflichtet ist, das umzusetzen, ist kein Trost. Dieses Europa ist auch unser Europa. Außerdem wäre es nicht das erste Mal, daß unsere Politiker unpopuläre Entscheidungen aus Brüssel freudig aufgreifen. Linde Peters, München
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