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Billigst-Arbeitskräfte staatlich verarscht

■ Feste Zusagen für BSHG-19-Stellen gebrochen / Plötzlich war das Geld alle

Sigrid Ormeloh hat viel Arbeit für wenig Geld. Seit Mai ist die Kulturwissenschaftlerin am Kulturzentrum Schlachthof damit beschäftigt, das 15jährige Jubiläum Ende August/Anfang September vorzubereiten. Für zehn Mark am Tag organisiert Sigrid Ormeloh in der Video-Werkstatt ein Film-Ko-operationsprojekt aus diesem Anlaß. Als Sozialhilfeempfängerin arbeitet sie auf der sogenannten „blauen Karte“. 200 Mark im Monat bekommt sie so zur Sozialhilfe dazu. Doch ab 1. Juli sollten Sigrid Ormeloh und drei weitere Zusatzkräfte zur Vorbereitung des Schlachthof-Jubiläums ganz beim Kulturzentrum in Lohn und Brot stehen. Die entsprechende Finanzierung über das Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ (nach einem Paragraphen im Bundessozialhilfe-Gesetz BSHG-19-Stellen genannt) war fest versprochen. Doch daraus wird nun nichts.

Nicht nur im Schlachthof, auch an der Waldorfschule, bei der Bremer Arbeitslosenselbsthilfe BRAS oder im Lagerhaus Schildstraße spielt sich in diesen Tagen das gleiche Drama ab: SozialhilfebezieherInnen, die fest mit einer BSHG-19-Stelle – und damit auf ihren Einstieg ins normale Berufsleben – gerechnet hatten, müssen ganz enttäuscht oder auf das nächste Jahr vertröstet werden. Der Grund: Die „Werkstatt Bremen“, im Auftrag der Sozialsenatorin mit der Verwaltung des BSHG-19-Programmes beauftragt, hat die dafür in diesem Jahr zur Verfügung stehenden 42 Millionen Mark bereits so gut wie vollständig ausgegeben.

Gut 1.000 der begehrten Stellen werden mit diesem Geld pro Jahr finanziert. Schlachthof, BRAS und andere hatten bereits vor Jahresbeginn ihre BSHG-19-Pläne eingereicht und mündliche Zusagen bekommen. Aufgrund dieser mündlichen Absprachen hatte die Werkstatt Bremen auch die „blauen Karten“ an die künftigen BSHG-19-Kräfte vergeben. Ohne die feste Aussicht auf einen vollen Lohn hätte sich aber wohl keine von ihnen darauf eingelassen, bis zu sechs Monate lang für 200 Mark im Monat fünf Stunden am Tag zu arbeiten. Doch als die Werkstatt Bremen am Dienstag vergangener Woche im kleinen Kreis erstmals die bisher vergebenen Gelder zusammenaddierte, da war auf einmal schon fast alles vergeben. Projekte, die erst in der zweiten Jahreshälfte beginnen sollten, können nicht mehr gefördert werden.

Folge dieser „Fehlplanung“, wie sich BRAS-Geschäftsführer Uwe Lange vorsichtig ausdrückt, ist ein unnötiger Leerlauf in vielen Einrichtungen. So kann die BRAS AusbilderInnen und Werkstattkapazitäten nicht kurzfristig kündigen, nur weil plötzlich keine BSHG-Stellen mehr genehmigt werden können. Und in den Kulturzentren Schlachthof und Lagerhaus, die sowieso stets knapp unterhalb der personellen Schmerzgrenze operieren, bedroht der Wegfall neuer und fest einkalkulierter BSHG-19-Kräfte das Veranstaltungsprogramm. „Wir haben mit den vier Stellen zur Vorbereitung und Dokumentation des Jubiläumsprogramms fest gerechnet“, klagt zum Beispiel Barbara Hirsch vom Schlachthof.

Hannelore Stöver, als Leiterin der Werkstatt Bremen für die BSHG-19-Vergabe verantwortlich, kann die Aufregung nicht recht verstehen. „Wir haben eben schon sehr viele Mittel im ersten Halbjahr gebunden“, sagt sie, „da bleibt jetzt nichts mehr übrig. Neue Anträge können aber vielleicht Ende des Jahres oder Anfang 1997 bewilligt werden.“ Behördensprecher Holger Bruns-Kösters nennt die Sparbeschlüsse des Senats als weiteren Grund für die plötzliche Ebbe in der BSHG-19-Kasse. Anders als am Anfang des Jahres erwartet, sei die Kürzung der entsprechenden Mittel auf 95 Prozent des Haushaltsansatzes inzwischen auf das volle Jahr ausgedehnt worden.

Ein weiterer Grund für die rasche Geldausgabe wird offiziell nicht bestätigt. Nachdem es Anfang des Jahres Streit zwischen den SenatorInnen für Arbeit und Soziales um die Zuständigkeit für die Vergabe der BSHG-19-Stellen gegeben hatte, wurde in der Werkstatt Bremen offenbar nach dem Motto verfahren: Alles was schon ausgegeben ist, kann uns nicht mehr weggenommen werden. Die Folgen dieser Politik bekommen jetzt Sigrid Ormeloh und all die anderen SozialhilfebezieherInnen zu spüren, die im Vertrauen auf mündliche Zusagen schon seit Monaten für zwei Mark die Stunde arbeiten. Der Jubiläumskongreß, den Sigrid Ormeloh mit vorbereitet, hat sinnigerweise den Titel „Bescheidene Verhältnisse“. Ase

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