standbild: Billige Antworten
„Amok“ (Mi., 21.50 Uhr, ARD)
Irgendwann ist Georg Stefan Troller die Puste ausgegangen. Da hat er seinen Kameramann einfach in die nächste Spielhalle gewunken, um ihn auf Jugendliche draufhalten zu lassen, die gebannt dem Kampfgeschehen auf den Bildschirmen folgen. Im fertigen Film wird die Sequenz aus dem Off mit einem geradezu sozialhygienischen Eifer kommentiert: „Gewaltfilme und Videospiele gelten heute nachweislich als Ansteckungsherd für die Jugend.“ Die Kurzatmigkeit und Terminologie, mit der gegen Ende von „Amok“ das Phänomen der Gewaltausbrüche an amerikanischen Unis analysiert wird, wirkt umso erschreckender, da Troller das Thema ansonsten ganz unaufgeregt verhandelt: Lakonisch poträtiert er den Einwanderersohn Wayne Lo, der im Alter von 18 Jahren mit einer Maschinenpistole über den Campus von Simon’s Rock lief und dabei zwei Menschen tötete.
Wayne Lo spielte viel versprechend Geige und erfüllte auch sonst alle Kriterien eines Wunderknaben. Welchen Grund hatte er, ein Blutbad anzurichten? Der Einfluss von „Gewaltfilmen und Videospielen“ jedenfalls sticht aus keinem der Interviews, die Troller für sein Psychogramm geführt hat, als Ursache heraus. Vielmehr werden nach und nach die Zwänge deutlich, unter denen der Student gelitten hat. Als ältester Sohn eines Restaurantbesitzers hatte er genauso bestimmte Erwartungen zu erfüllen wie als Hochbegabter. Irgendwann glaubte Wayne Lo eine göttliche Botschaft zu empfangen: Er sei dazu auserkoren, die Sünder des Campus auszulöschen. Dass, wie Troller prägnant vorführt, Waffenläden in den USA allgemein so zugänglich sind wie hierzulande Eisenwarenhändler, machte die Mission zu einem leichten Unterfangen.
Die möglichen Auslöser für die religiösen Wahnvorstellungen trägt Troller – wie immer in seinen Porträts – akkurat zusammen, ohne sich auf einen bestimmten festzulegen. Sein Film nähert sich der Psyche des Amokläufers und widersteht dabei über weite Strecken der Versuchung, mit den gängigen Erklärungen das Verbrechen durchzuanalysieren. Nur am Ende liefert er dann aber doch die billigste aller Antworten. Schade. CHRISTIAN BUSS
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