: Billig-Schnitzel für Bildungsbürger
Das „Schweinske“ am Sielwall gilt manchen trotz einer Farbbeutelattacke als letztes Indiz für die Entpolitisierung des „Viertels“. Vegane Aktivisten nennen „Schweinske“ zwar „besonders zynisch“ – aber „auch nicht schlimmer als die Döner-Bude nebenan“
Von Christian Jakob
Kaum ein Gericht kostet mehr als sieben Euro, fast alle enthalten Schweinefleisch. Die Gaststätten der Franchise-Kette „Schweinske“ kommen als Restaurants daher und wirken doch wie Systemgastronomie à la McDonalds. Dabei will „Schweinske“ „nicht so kalt und steril“ wie Fast Food-Imbisse sein, so die Firmenpräsentation, andererseits aber auch „keine Hemmschwellen aufbauen, die manchen Zeitgenossen vom Betreten eines Restaurants abhalten könnten“.
Am 7. Juni eröffnete die bundesweit 33. Filiale der 1983 gegründeten Hamburger Kette – in den ehemaligen Räumen der „Kapelle“ am Sielwall-Eck. „Endlich“, so die „Schweinske“-Zentrale „finden nun auch die Bremer alles, was zu einem sauguten Restaurant dazugehört“.
Das sehen offensichtlich nicht alle so. Kurz nach der Eröffnung bewarfen Unbekannte die Restaurant-Fassade mit einer – Augenzeugen zufolge „ordentlichen Ladung“ – roter Farbbeutel. Damit hat das „Schweinske“ ebenso wie zuvor die „Kapelle“ von Anfang an mit Widerstand in dem einst so politischen Stadtteil zu kämpfen.
Bei der „Schweinske“-Zentrale in Hamburg will man den Vorfall nicht allzu hoch hängen. Man habe sich von „Bremen-Kennern“ sagen lassen, dass solche Attacken „in diesem Viertel wohl öfter vorkommen“, so die „Schweinske“-Systemmanagerin Stefanie Gesell. Insofern bestehe kein Grund zur Panik. Eine Vorstellung über die möglichen Motive der Farbbeutelwerfer hat man nicht. „Keine Ahnung, warum die das gemacht haben.“
Wie auch immer die Attacke motiviert war – ganz verfehlt haben die FarbbeutelwerferInnen die Befindlichkeit der alternativ-liberalen StadtteilbewohnerInnen wahrscheinlich nicht. Das „Schweinske“ passt dort vielen nicht. Von einer „Unkultur“ ist bei einigen die Rede, andere finden, es sei „die Höhe“, dass sich die preiswerte Gaststätte an dieser prominenten Stelle eingemietet habe.
Es ist wohl auch eine Ostertor-typische, alternative Bürgerlichkeit, die dem schnieken Geflügelhof „Tietjen“ den vermeintlich art- und gesundheitsverträglicheren Fleischverkauf eher durchgehen zu lassen geneigt ist, als dem etwas prollig daherkommenden „Schweinske“.
Elke Heyduck zum Beispiel wohnt seit über zehn Jahren im Ostertor. Ein bisschen, so sagt sie, habe sie sich schon gewundert, „dass das so einfach durchgeht, nach all dem Protest, den es damals gegen den Bio-Fleischer gab“. „Schweinske“ habe ein „fünfziger Jahre-Verhältnis zu Fleisch“. Sie selber esse zwar Fleisch, findet es aber wichtig, dass es ökologisch verträglich erzeugt wird und man einen „bewussten Konsum“ pflege. „Fleischberge raushauen“, wie Schweinske das tue, sei jedenfalls kein „bewusster Konsum“. „Zur Eröffnung hat es da wohl Schnitzel für 2,99 Euro gegeben. Ich will nicht wissen, wo die ihr Fleisch produzieren lassen, wenn die das zu dem Preis verkaufen können.“
Die Tatsache, dass das „Schweinske“ überhaupt eröffnet hat, deutet sie auch als Zeichen für einen sozialen Wandel im Stadtteil. „Hier hat sich alles sehr beruhigt und entpolitisiert. Wo es früher starke Konflikte zwischen den Milieus gab, herrscht nun eine homogene BAT-II-Kultur.“ Einem Öko-Fleischer hätten radikale Tierschützer noch vor Jahren fünfmal hintereinander die Scheiben eingeworfen – bis er ins Neustädter Buntentor ausweichen musste. „Die ganzen Veganer sind anscheinend älter geworden – oder weg.“
Hatte sich der radikale Veganismus der neunziger Jahre vor allem Tierrechte auf die Fahnen geschrieben, so diskutieren weite Teile der Bewegung heute das Konzept des „Antispeziezismus“. Dies geht, vereinfacht ausgedrückt, davon aus, dass moralische Unterscheidungen nicht nur zwischen Menschen und Tieren, sondern auch zwischen Tiergattungen sozial konstruiert und nicht haltbar sind.
Petra und Matthias sind Anfang zwanzig, studieren Kulturwissenschaft und ernähren sich strikt vegan. Ihre richtigen Namen möchten sie nicht nennen, aus Sorge, sie könnten mit den Farbanschlägen in Verbindung gebracht werden. „Wir waren das nicht“, sagt Petra. Vor zwei Monaten haben die beiden mit anderen jungen Leuten „aspekt: antispe – Gruppe gegen jegliche Tierausbeutung“ gegründet.
Sie erarbeiten einen Stadtführer für VeganerInnen, lesen gemeinsam Texte zur Tierbefreiung und organisieren vegane Frühstücksbuffets in einem sozialen Zentrum in der Neustadt. Der Name ihres Zusammenschlusses, so erklären sie, soll darauf hinweisen, dass der Antispeziezismus nur ein Aspekt in einem weiterreichenden Kampf um die Befreiung von Menschen und Tieren ist.
Das „Schweinske“ finden sie „natürlich schrecklich“. Andererseits: „Es ist schwierig, ‚Schweinske‘ besonders zu kritisieren.“ Deren Werbung, das grinsende Schwein, sei zwar „besonders zynisch“. Doch der Geflügelhof Tietjen am Ulrichsplatz, die Leder- und Pelzgeschäfte und natürlich all die Döner-Läden überall – „die sind auch nicht besser.“ Überhaupt, die Döner-Läden: Die seien „nochmal besonders abstoßend, mit ihren zur Schau gestellten, aufgespießten toten Tieren“, finden sie. Dies sei auch der Grund, weshalb sie sich über das „Schweinske“ „jetzt nicht so fürchterlich aufregen“ könnten. „In Findorff zum Beispiel gibt es einen Zirkus. Da werden auch Tiere gequält. Aber wir können nicht alles auf einmal machen. Wir sind so wenige.“
Ist das nicht manchmal frustrierend? Den Menschen das Fleischessen ausreden zu wollen – eine größere Sisyphosarbeit dürfte kaum vorstellbar sein. Trotzdem sind sie guten Mutes: Sie arbeiten mit in einem bundesweiten Netzwerk gegen die Pelzindustrie und dieses habe große Erfolge zu verzeichnen. „In den letzten Monaten haben zwei große Textilketten nur wegen des Drucks der ,Offensive gegen die Pelzindustrie‘ Pelze aus dem Sortiment genommen.“
Die vielfach geäußerte Vermutung, dass der Farbbeutel-Angriff auf das „Schweinske“ eher Ausdruck des Protests gegen die sich ausbreitende Konsumkultur im Steintor ist, teilen sie – und sehen in dieser Haltung sogar eine Schnittmenge zu ihrem politischen Projekt. „Urbane Kommerzialisierung hat die gleiche Ursache wie industrieller Tiermord: Das alles zur Ware gemacht wird.“ Deswegen gehöre eine stadtteilpolitische Auseinandersetzung um öffentliche Räume und der Antispeziezismus für sie zusammen.
Sozialismus allein ist für sie deshalb auch nicht alles. Denn auch dort wäre das Tier noch immer eine Ware – und kein gleichberechtigtes Lebewesen: „Ein Schlachthof in der Hand eines kommunistischen Arbeiterkollektivs wäre auch nicht besser.“
Kontakt zu „aspekt: antispe – Gruppe gegen jegliche Tierausbeutung“: bremen@antispe.org