Bildungsmesse Didacta: Beim E-Learning sitzengeblieben
Auf der Fachmesse Didacta spielt digitales Lernen eine untergeordnete Rolle. Desinteresse der Lehrer oder mangelndes Angebot der Verlage?
KÖLN taz | Als ich auf der Didacta in Köln ankomme, bin ich über einen Teil der Besucher dieser Bildungsmesse amüsiert. Hatte ich es zunächst für ein Gerücht gehalten, dass viele Besucher Koffer auf Rollen dabei haben, um das einzusammelnde Material transportieren zu können, sehe ich nun, dass dieses Gerücht stimmt.
Aus dem Zug steigen an der Messe Dutzende von Besuchern mit leeren großen Rucksäcken, Trolleys und Reisekoffern. Viele, die ohne diese Utensilien angereist sind, finden später auf der Messe Aussteller, die Pappkartons auf Rollen verschenken. Man kennt eben die Bedürfnisse der Besucher.
Mein Bedürfnis ist es nicht, mich an den Ständen von Schulbuchverlagen mit Büchern einzudecken. Obwohl sie zu Preisen angeboten werden, die zum Teil sehr günstig sind. Mein Bedürfnis ist es zu erfahren, wo ich diese Schulbücher als E-Books erwerben kann, wie ich sie auf mein digitales Lesegerät bekomme und nutzen kann, ohne dass ich einen Laptop brauche oder mit dem Tablet online sein muss, wie es momentan beim Angebot digitale-schulbuecher.de der Schubuchbranche noch der Fall ist.
Der Autor ist Lehrer an einem Gymnasium und Blogger in Frankfurt am Main. herrlarbig.de, twitter.com/herrlarbig
E-Learning ist ein Schwerpunkt der Didacta
Diese Frage nach E-Books löst verschiedenste Reaktionen aus. An einem Stand sagt man, dass das nicht möglich sei – und lacht. An anderen Ständen ist man ratlos oder man verweist mich an die Entwickler der verlagseigenen Onlineangebote, die neben dem zentralen Angebot des Branchenverbandes den Markt abdecken sollen.
E-Learning ist zwar ein Schwerpunkt im Rahmenprogramm der Didacta 2013, an den Ständen der Schulbuchverlage dominieren aber nach wie vor Bücher aus Papier. Die E-Learning-Angebote, die ich sehe, sind instruktiv, bilden in der Regel Frontalunterricht in Form von Schulbüchern ab.
Die Möglichkeiten des Internets für das Lernen, die Vernetzung von Lehrern und die digitale Schulentwicklung, das alles scheint die Besucher am Messesamstag kaum zu interessieren.
Lehrer bleiben bei den Büchern
Dort, wo es um Bildungstechnik geht, sind die Hallen leer. Man habe, höre ich an verschiedenen Ständen, vor allem mit Schulleitungen und Entscheidungsträgern von Schulträgern zu tun. Lehrer, Referendare und Lehramtsstudenten interessieren sich im Vorübergehen höchsten für digitale Tafeln. Schon die vor Ort in Aktion zu sehenden 3-D-Drucker wecken nur wenig Interesse.
Langsam weicht mein anfängliches Amüsement über die Rollenkofferfraktion einem ambivalenten Gefühl. Ist das große Interesse an den Büchern dem Desinteresse der Lehrer an digitalen Medien geschuldet?
Oder ist das geringe beziehungsweise nach wie vor nicht wirklich komfortabel zu handhabende Angebot an digitalen Medien schuld, dass Lehrer bei Büchern bleiben?
#didacta
Ohne eine Antwort auf diese Frage gefunden zu haben, nutze ich den Messetag, um Menschen zu treffen, mit denen ich digital vernetzt bin. Zum Teil gehe ich unangemeldet zum Stand, zum Teil haben wir uns unter dem Hashtag #didacta via Twitter verabredet.
Ich erlebe für mich selbst den Mehrwert dieser Vernetzung für meinen Austausch und mein Nachdenken über Bildungsmedien. Aber selbst in diesen Begegnungen höre ich viel Skepsis über ein allzu großes Engagement im digitalen Bereich. Der Markt sei da noch zu unberechenbar, heißt es, die digitale Bildungsrevolution schon zu oft vertagt worden.
Dass sich dies ändern könne, stellen Lehramtsstudenten in Frage, die ich beim Mittagessen treffe. Ob sie nicht digitale Angebote von den Schulbuchverlagen vermissen würden, frage ich. Sie verneinen, sie seien da nicht so interessiert.
Verborgene Triebfeder im Messegetümmel
Später sehe ich, wie sie bei einem Verlag einen Adresszettel ausfüllen und dabei auch ihre E-Mail-Adresse hinterlassen. Völlig fremd scheint ihnen das Netz also nicht zu sein.
Was aber passiert auf dieser Messe? Was erfahre ich hier vielleicht über Deutschlands Bildungssystem? Steht hier irgendetwas zwischen den Zeilen, das nicht offensichtlich erkennbar, aber vielleicht doch eine verborgene Triebfeder im Messegetümmel ist?
Also noch einen Gang durch jene Messehallen, in denen der Schwerpunkt auf schulischer Bildung liegt. Schulbücher bieten Lehrern ausgearbeitete, an Lehrplänen orientierte Unterrichtsmodelle an. Das kenne ich aus meiner eigenen Schulzeit, das weiß ich als Lehrer.
Didaktische Hilflosigkeit?
Dankbar greife ich auf diese Modelle zurück, wenn ich sie für einigermaßen gelungen halte und es im Rahmen von Unterricht, Korrekturen, Beratungen, Konferenzen und sonstigen schulischen Aktivitäten mal wieder nicht gelingt, den Unterrichtsentwurf zu erstellen, den ich eigentlich im Kopf hatte. Mir geht es offensichtlich nicht allein so.
Ist das Sammeln von Material vielleicht tatsächlich eine Reaktion der Lehrkräfte auf den Mangel an Zeit, um eigene Unterrichtsmodelle zu entwickeln, die zu den unterschiedlichen Lerngruppen wirklich passen?
Oder sollte es didaktische Hilflosigkeit sein, die zum Beispiele Referendare umtreibt, sich möglichst schnell einen großen Pool an Lernmaterial anzuschaffen?
Digitales Material hat eigentlich keinen Mehrwert
Da ist es egal, ob das Material analog oder digital vorliegt, denn es gibt beim digitalen Material eigentlich keinen Mehrwert, außer in Zukunft ein paar Animationen.
Was ich bei den Schulbuchverlagen sehe, hat nichts mit einer Veränderung des Lernens zu tun, sondern nur mit der Veränderung von Datenträgern mit Lernmaterial. Die digitalen Optionen zur Vernetzung spielen in den Bildungsmedien keine für mich auf den ersten oder zweiten Blick wahrnehmbare Rolle.
Selbst die von Schulbuchverlagen in Eigenregie entwickelten digitalen Lehrerarbeitsoberflächen sind letztlich nichts anderes als Sammlungen von Arbeitsblättern zum Ausdrucken; Möglichkeiten, etwa gemeinsam eine Unterrichtseinheit vorzubereiten, sich mit Kollegen zu vernetzen, sind da nicht vorgesehen.
Es geht ums Geld
Kein einziger Verlag wirbt damit, dass man sich das Lehrerleben leichter machen könne, wenn man sich vernetzt, kooperiert, gemeinsam Material entwickelt.
Stattdessen geht es ums Geld. Bei einer Messe ist das wenig überraschend. Aber je mehr ich mir auf dieser Messe als Exot aus Digitalien vorkomme, der durchaus Bücher aus Papier und das Schreiben mit Füller zu genießen vermag, umso irritierter bin ich, dass man bei Verlagen auf bewährte Modelle setzt und wenig innovationsfreudig ist oder visionäre Konzepte zumindest mal in die Diskussion wirft.
Ich erfahren im Laufe des Messetages, dass die Rendite im Schulbuchmarkt um die 3 Prozent liege, dass pro Schüler und Jahr 48 Euro für Bildungsmedien ausgegeben würden, dass man 7.000 Registrierungen für eine Schulbuchplattform nach drei Monaten für einen Erfolg hält, obwohl diese Zahl hochgerechnet bedeuten würde, dass es 25 Jahre dauern würde, bis alle Lehrer sich dieser Plattform digitale-schulbuecher.de bedienen würden.
Digitale Medien als Ersatz für Lehrfilme
Ich erfahre auf dieser Messe nichts über eine Marktforschung, die nach Bildungsinvestitionen jenseits des Status quo fragt. Oder sagt diese Marktforschung womöglich aus, dass alles so bleibt, wie es ist, dass die paar stark an digitalen Lernkonzepten interessierten Lehrer und Lehrerinnen Exoten sind und bleiben?
War ich am Anfang über Rollkoffer amüsiert, beginne ich am Ende zu begreifen, dass die oft beschworene Krise des deutschen Bildungssystems sich auch auf dieser Messe zeigt. Lehrer halten an Unterrichtskonzepten fest, die nach wie vor auf Schulbüchern aufbauen.
Sie sehen digitale Medien vor allem als Ersatz für Lehrfilme oder nutzen sie als Zusatzmaterial; Schulbuchverlage bedienen diese Nachfrage, stecken viel Energie in digitale Angebote, die wiederum die Vorstellung eines Unterricht abbilden, der zwar zur Kooperation und Vernetzung befähigen will, sich selbst aber der Kooperation und Vernetzung über die analogen Grenzen des Schulgebäudes hinaus nach wie vor entzieht.
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