Bienenkunde: Optimale Völkerführung
Seit Jahren gibt es Berichte über das Bienensterben - eine Spezies, die aus unserem Leben nicht wegzudenken ist. Trotdem ginge es auch ohne sie weiter, sagt Bienenforscherin Elke Genersch.
Ihr Honigvögelein, die ihr von den Violen und Rosen abgemeyet den wundersüßen Safft. Die ihr dem grünen Klee entzogen seine Krafft. Die ihr das schöne Feld so oft und viel bestohlen. Ihr Feldeinwohnerin, was wollet ihr doch holen, was so euch noch zur Zeit hat wenig Nutz geschafft, weil ihr mit Dienstbarkeit des Menschen seyd behafft. Und ihnen mehrenteils das Honig musset zohlen? Martin Opitz, 1623
"Stirbt die Honigbiene aus?", "Mysteriöses Bienensterben" - "Dramatische Völkerverluste auch in Deutschland" - "Bestäubung der Obstblüte in Gefahr!" Seit Jahren gibt es alarmierende Schlagzeilen über das Bienensterben. Von 1993 bis 2006 gingen bei uns knapp 43 Prozent der Bienenvölker verloren, schätzen Experten. Rundfunk und Fernsehen brachten Berichte, die Zeitungen - vom Imkerblatt bis zur FAZ - widmeten sich dem Thema. Es wurde umfangreich geschrieben über das rätselhafte Verschwinden von zigtausend Bienenvölkern in den USA, es gibt Mutmaßungen, dass sich eine solche Katastrophe auch hier in Europa anbahnt.
600.000 bis 800.000 Bienenvölker mit bis zu 13 Milliarden Bienen wären in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Folgen wären unabsehbar, denn die Bienen sind ja nicht nur Honigproduzenten, sie bestäuben auch mehr als 80 Prozent des deutschen Obst- und Gemüseanbaus, dazu noch Wildblüten. Wir können uns die Bienen nicht wegdenken, sie sind ein fester Bestandteil in unserem kulturellen Gedächtnis, was nicht zuletzt auch Wilhelm Busch in seiner Bildergeschichte "Schnurrdiburr oder die Bienen" wunderbar dargestellt hat. Wenn sie also krank sind, ist das ein Grund zur Sorge. Gründe, so ist zu lesen, gibt es viele. Welche es - außer den 40.000 Tonnen an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die jährlich auf unsere Nutzpflanzen niedergehen - sein könnten, was sie krank werden lässt, das möchten wir Frau Dr. Elke Genersch fragen. Wir fahren hinaus nach Hohen Neuendorf, das nördlich vor den Toren Berlins im Bundesland Brandenburg liegt. Hier residiert seit 1952 das Länderinstitut für Bienenkunde (LBI, gegr. 1923) in einer alten Villa mit Park und eigener Imkerei. Die Aufgabe des LBI besteht in praxisorientierter Forschung zum Erhalt der Honigbiene, in der Lehre und Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten, in Dienstleistungen wie Schulung und Beratung, Honiganalytik und Krankheitsdiagnostik sowie in Veranstaltungen für Besucher.
Frau Dr. Genersch empfängt uns in ihrem Büro. Über das dramatische Szenario in den Medien lächelt sie mild und erklärt, es gebe aktuell kein dramatisches Bienensterben. "Tatsache ist, dass die Winterverluste deutschlandweit bei unter 10 Prozent lagen. Der Normalwert liegt zwischen 10 und 20 Prozent. Verluste gibt es immer. Und es kann natürlich auch schon im Herbst zu Verlusten kommen, wenn zum Beispiel gegen die Varroamilbe schlecht oder falsch behandelt wurde. Wenn das Volk an der Varroamilbe eingeht, an zu starkem Varroabefall, dann passiert es sehr häufig, dass die Bienen tatsächlich verschwinden. Sie sind plötzlich weg. Wir haben dafür den Fachbegriff 'kahlfliegen'. Also das, was jetzt in den USA als vollkommen neues Phänomen dargestellt wird, das Bienenverschwinden, ist eigentlich normal und liegt in der Biologie der Biene. Ihr letzter Dienst am Volk ist, dass sie zum Sterben wegfliegt. Die Bienen sehen ihren Stock nicht als Hospiz, wenn sie sich schlecht fühlen. Die Bienen fliegen aus, um zu sammeln, wie es ihre Aufgabe ist, und sie sterben dann eben außerhalb irgendwo, weil sie nicht mehr können. Also sie verlassen den Stock nicht als Schwarm, der verschwindet, sondern als einzelne Biene, die dann eben draußen bleibt und stirbt. Und es gibt ja auch das ganz normale Bienensterben - wir sind jetzt am Ende des Bienenjahres. Es gehen momentan, das müssen Sie sich mal vorstellen, etwa zweieinhalbtausend Bienen pro Volk und Tag verloren, ein starkes Volk kann im Sommer bis zu 80.000 Bienen haben, aber sie haben nur eine Lebenszeit von zwei bis drei Wochen im Sommer, länger leben sie nicht, die Arbeiterinnen. Bei den Winterbienen ist es anders, sie müssen vier bis sechs Monate überleben. Jetzt grade - ab Juli, August - werden die Winterbienen großgezogen. Und weil das Bienenjahr zu Ende ist, müssen wir demnächst anfangen, die Bienen einzufüttern. Sie fliegen natürlich noch bis Oktober, aber was sie da eintragen, das reicht ja nicht, um das Volk über den Winter zu bringen. Weil wir ihnen ja vorher allen Honig geklaut haben, können wir sie nicht auf dem bisschen sitzen lassen, das sie über die Spätsommerwiesen noch reinkriegen. Ich habe meine Bienen letztes Jahr mit ganz normalem Haushaltszucker, in Wasser aufgelöst, gefüttert. Das ist eine der Methoden. Und das ist nicht wirklich schlechter als der Honig. Alles, was Heilkraft ist am Honig, das hat die Biene reingebracht, sozusagen durch Bienenspucke. Wenn nun die Bienen Zuckerwasser eintragen, dann verarbeiten sie es genauso wie den Blütennektar, geben ihre Enzyme und alles dazu und machen daraus ihr Winterfutter. Die Bienen sind es ja gar nicht mehr anders gewöhnt. Seit 8.000 Jahren wird Bienenhaltung betrieben, und es ist natürlich auch ein Ergebnis der Zucht, dass sie viel mehr sammeln, als sie brauchen, bis zum Zehnfachen dessen, was sie als Winterfutter bräuchten. So ein Wirtschaftsvolk kann in einem Jahr 40 bis 50 Kilogramm Honig sammeln. In Syrien zum Beispiel liegt die Leistung bei 5 bis 10 Kilogramm pro Jahr.
PD Dr. rer. nat. Elke Genersch, stellv. Direktorin am Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e. V., Leiterin d. Abt. Diagnostik u. Molekularbiologie. Dr. Elke Genersch hat a. d. Universität zu Köln Biologie mit Schwerpunkt Molekularbiologie/Genetik studiert und ihre Promotion im Fach Biochemie a. d. Ludwig-Maximilian-Universität zu München u. am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried angefertigt (mit summa cum laude bewertet). Danach bearbeitete sie tumor- und zellbiologische Fragestellungen am MPI in Martinsried, i. d. onkologischen Forschungsabteilung der Schering AG in Berlin, am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, am Biomedical Center Lund in Schweden u. a. d. Universität daselbst sowie a. d. Medizinischen Hochschule Hannover. 2001 wechselte sie zum Länderinstitut für Bienenkunde, um sich fortan mikrobiologischen Fragestellungen u. Bienenkrankheiten zu widmen. 2006 Habilitation in Molekulare Mikrobiologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin (Thema: Paenibacillus larvae, der Erreger der Amerikanischen Faulbrut der Bienen-Klassifizierung, Molekulare Typisierung und Virulenzunterschiede). Ihre Forschungsarbeiten sind in vielen Veröffentlichungen dokumentiert. Frau Dr. Genersch wurde 1960 in Essen-Werden geboren, sie ist verheiratet und hat ein Kind.
Mein Fachgebiet ist ja Bienenkrankheiten. Dadurch, dass die Biene seit Jahrtausenden das Nutzinsekt ist, haben wir die einmalige Situation, dass wir ihre Krankheiten recht gut kennen, wir wissen, wie die Krankheiten aussehen, das ist sehr gut beschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so gut untersucht. Bienenkrankheiten sind zu lange stiefmütterlich von der Forschung behandelt worden. Bienen können, vom Erreger her, alle Infektionskrankheiten bekommen, die auch bei anderen Tieren und beim Menschen vorkommen, also Viruskrankheiten, bakterielle Erkrankungen, Pilzkrankheiten, und Bienen haben Parasiten. Die Bienenkrankheiten sind eine fantastische Nische, jede Frage, die wir als Molekularbiologen stellen, ist quasi noch unbeantwortet und eröffnet ein neues Projekt. Da ist noch eine direkte Wirkung der Forschungsergebnisse möglich, ich kann richtig von unten anfangen. Wie faszinierend das ist, können Sie am Beispiel der amerikanischen Faulbrut sehen. Die AFB ist eine bakterielle Erkrankung der Honigbienenlarven, ist weltweit verbreitet, hoch ansteckend und führt in der Regel zum Zusammenbruch der erkrankten Völker. In Deutschland ist sie eine anzeigenpflichtige Tierseuche. Bereits der Verdacht muss dem Amtstierarzt gemeldet werden. In Deutschland ist die AFB extrem häufig. Sie ist nicht zu behandeln, wenn sie erst einmal ausgebrochen ist. In aller Regel wird der Amtstierarzt das Abschwefeln der erkrankten Völker verfügen, also das Töten. Der Erreger der AFB ist ein Bakterium, das Sporen bildet. Die infektiöse Form sind die Sporen. Wenn die im Futtersaft sind, dann verfüttern sie die Ammenbienen an die Larven, und die zersetzen sich dann zu einer fadenziehenden Masse. Beim Versuch, die Zellen für die nächste Eiablage zu reinigen, kontaminieren sich die Ammenbienen mit den Sporen, die sie dann auf die nächste Brut übertragen, die immer kränker wird. Dadurch schaukelt es sich auf.
Und was nun die Forschungsarbeit betrifft, so haben wir ein Rätsel in der Faulbrutdiagnostik lösen können, unsere Arbeitsgruppe hier am Institut. Es gab bis dahin Diagnoseprobleme, es gab Fälle, in denen das Volk sichtbar krank war, das Labor konnte aber, wenn es sich an die Regeln gehalten hat, den Erreger nicht nachweisen. So konnte der Amtstierarzt die Seuche auch nicht offiziell als ausgebrochen erklären. Das war natürlich ein großes Problem. 100 Jahre nach der Erstbeschreibung des Erregers haben wir das Rätsel gelöst. Wir haben gezeigt mit molekularen Methoden, dass der Glaube, der 50 Jahre existierte, es gebe einen nahen Verwandten, der aber nicht gefährlich ist für die Bienen, der Glaube an ein Märchen war. Er ist genauso gefährlich für die Bienen! Und wir konnten beweisen, dass alle Vertreter dieser Spezies die Symptome der Faulbrut verursachen, nämlich Zersetzung zur fadenziehenden Masse. Das heißt, wir bewegen doch wirklich was. Wir bekommen auch Anerkennung, muss ich sagen. Sie läuft über die Veröffentlichung in einem internationalen Journal, es ist zuständig dafür, die korrekte Klassifizierung von Mikroorganismen zu veröffentlichen. Die haben einen extrem genauen Gutachterprozess. Vor jeder Veröffentlichung wird akribisch überprüft, denn im Moment der Veröffentlichung ist es international verbindlich. Wir haben auch gezeigt, dass es Gefährlichkeitsunterschiede bei Erregern gibt, das war bisher nicht untersucht worden - eigentlich eine Banalität -, aber wir konnten zeigen, es gibt Virulenzunterschiede. Also für unseren Bereich ist natürlich die Anerkennung in den USA immer so ein Maßstab dafür, dass man es jetzt geschafft hat, über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu sein. Ich bin jetzt auch beteiligt an der Annotierung von dem Genom des Bakteriums, ich bin zuständig für die Gefährlichkeitsfaktoren. Und dazu bin ich eben eingeladen worden aus den USA. Wir gehören also, was das angeht, möchte ich mit Stolz sagen, weltweit zu den führenden Laboren. Unser kleines Labor hier.
Das muss auch anerkannt werden, damit es nicht so eine Nischenexistenz in einem Bieneninstitut fristet, Bienenphologie muss ein eigenständiges Forschungsgebiet werden, was auch Geld braucht und wo man die Kompetenz bündelt, um die richtigen Zusammenhänge zu finden, beispielsweise bei der Virusforschung. Das ist übrigens unser drittes Standbein. Wir haben drei Standbeine: Amerikanische Faulbrut, Darmparasiten und Viren. Mich interessiert Varroa als Virusübertragung. Der Überträger, die Varroamilbe, ist ein sogenannter Ektoparasit, ein Spinnentier mit acht Beinen. Es siedelt auf der Biene, saugt Haemolymphe durch die Zwischenringhäutchen aus ihrem Wirt und ist mit bloßem Auge zu sehen. Es verbreitet sich, ebenso wie auch die anderen Krankheiten, durch Übertragung von Stock zu Stock, durch Räuberei und Verflug. Die Bienen verfliegen sich manchmal, finden nicht in den eigenen Stock und fliegen woanders rein. Und die Bienen räubern! Also wenn ein Volk schwach wird, merken das andere Bienen, dann fliegen sie los und räubern das Volk aus und holen sich den Honig. Ist ja viel einfacher, statt sich Blüten zu suchen, den fertigen Honig auszuräubern." Wir lachen, meine Freundin Elisabeth bemerkt trocken: "Wie menschlich!" Frau Dr. Genersch lächelt und sagt: "Richtig! Oder es gibt auch das Einbetteln, Bienen aus einem schwachen Volk kommen angeflogen und betteln sich vorsichtig bei den Wächterbienen ein, geben ihnen etwas Honig und dürfen rein. So ein Parasit wie die Varroamilbe, der hat genug Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Durch das Verhalten der Bienen, aber auch durch imkerliche Praktiken. Imker stellen die Waben von einem Volk ins andere und so weiter.
Und jetzt kommen wir zum Eigentlichen: Die Varroamilbe vermehrt sich nicht auf der Biene, sondern auf der Bienenbrut bzw. in der verdeckelten Zelle. Mit Beginn der Metamorphose verdeckeln die Ammenbienen die Zellen der Streckmaden, und kurz vor der Verdeckelung steigt die Varroamilbe, also das Muttertier, hinein, lässt sich mit verdeckeln und legt zuerst ein Ei, aus dem sich ein Männchen entwickelt. Danach legt sie ein paar Eier, aus denen sich Töchter entwickeln, die vom Sohn befruchtet werden. Danach stirbt der Sohn. Die Milben entsteigen zusammen mit der fertigen Biene der Zelle, und bis dahin saugen sie auch Haemolymphe. Dabei können sie das Flügeldeformationsvirus übertragen.
Das Flügeldeformationssymptom ist unser Hauptmodellsystem, weil es relativ einfach zu untersuchen ist. Normalerweise haben Sie bei Bienenviren nur die zwei Zustände: lebend oder tot. Es gibt keine Symptombeschreibungen, wie bei unseren Viruserkrankungen. Das ist beim Flügeldeformationsvirus (DWV-Virus) anders. Dieses Virus verursacht, wenn es von der Varroamilbe, während sie auf der Puppe parasitiert, übertragen wird, verkrüppelte Flügel bei den schlüpfenden Bienen. Aber nicht in jedem Fall! Wenn ich 100 mit Varroa infizierte Puppen habe, dann mögen 10 mit verkrüppelten Flügeln schlüpfen - im Herbst vielleicht mehr -, der Rest schlüpft ganz normal. Aber wir haben wenigstens lebende Bienen, die Symptome haben, die wir einem bestimmten Virus zuordnen. Diese Bienen sind nicht wirklich lebensfähig, weil sie ja ihre Arbeit nicht richtig ausführen können und weil sie im Stock nicht geduldet werden. Ob sie sofort beseitigt werden, scheint davon abzuhängen, wie schwer die Symptome sind, spätestens aber wenn sie rausfliegen sollen und nicht können, weil die Flügel fehlen oder verkrüppelt sind, werden sie rausgeschmissen. Da kommen ein bis zwei Bienen, schnappen sich die, es gibt so ein Knäuel, und draußen lassen sie die Kranke einfach fallen. Die krabbelt dann vor dem Stock rum, bis sie verhungert oder an der Virusinfektion eingeht.
Das sind alles Sachen, die sind noch nicht geklärt. Verhungern die? Gehen sie an dem Virus ein? Wie breitet sich das Virus im Körper aus? Wie kommt es zu den Verkrüppelungen? Was läuft in der Puppe ab, damit dieses Virus als Symptom verkrüppelte Flügel verursachen kann? Diese und andere Fragen stellen wir uns. Gut, das ist also die Virensache, mit der wir uns grade beschäftigen, und dadurch, dass sie wirklich neu ist, können wir auch sehr gut international veröffentlichen.
Es gibt natürlich noch viele andere Viren, aber an denen arbeiten Kollegen im In- und Ausland, da sind die Gebiete ein bisschen abgesteckt. Mit Pilzen zum Beispiel befassen wir uns ganz bewusst nicht. Weil wir einfach auch die Labormöglichkeiten nicht haben, um alle Erreger sicher nebeneinander behandeln zu können.
Ich habe kein Pilzlabor, ich möchte auf keinen Fall meine Bakterienkulturen verpilzt bekommen. Und - ich habe keine Ahnung von Pilzen. Das ist ein extrem schwieriges Gebiet. Wir haben jetzt allerdings mit einem Darmparasiten, mit Nosema, das ist - und jetzt widerspreche ich mir - fast ein Pilz!"
Sie lacht. "Ein Mikrosporidium, und die Klassifizierung, was es jetzt genau ist, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Das machen aber nicht wir. Es gab eine Form von Nosema, mit der sich die europäische Biene (Apis mellifera) arrangiert hatte: Nosema apis. Die Sporen sind in vielen Völkern, die Nosemose muss aber nicht ausbrechen. Bricht sie aber aus, dann können die Bienen auch eingehen. 1996 wurde in Asien ein Verwandter von Nosema apis bei der asiatischen Honigbiene (Apis cerana) gefunden. Und der hat jetzt im letzten Jahrzehnt den Wirt gewechselt, von der asiatischen auf die europäische Honigbiene, und sich rasant ausgebreitet.
In vielen Gebieten gibt es heute nur noch Nosema ceranea. Das heißt, dieser neue Darmparasit scheint den alten zu verdrängen, und dies kann mit höheren Völkerverlusten einhergehen. Da fängt die Erkenntnisgewinnung grade erst an. Nosema ceranae ist auch bei uns schon weit verbreitet, viele Völker haben beide Darmparasiten. Jetzt müssen wir herausfinden: Gibt es wirklich ursächliche Zusammenhänge zwischen Völkersterben und Nosema ceranae? Wenn die Bienen Durchfall bekommen, überträgt es sich schneller? Das sind alles Fragen, die wir beantworten müssen, und zeitweise müssen wir schon daran arbeiten, eine Behandlungsmöglichkeit zu finden. Früher, bei Nosema apis, konnte der Imker durch optimale Völkerführung diese Krankheit wieder in den Griff bekommen, indem er zum Beispiel mehr Jungbienen gefördert hat, weil eben vorwiegend die Altbienen erkranken. Womöglich, wir wissen es noch nicht, ist das bei Nosema ceranae nicht möglich. Es gab früher auch Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika oder Antiinfektiva bei Bienenvölkern, das ist in Europa aber inzwischen verboten, wegen der Rückstandsproblematik im Honig. Es muss zum Beispiel etwas sein, was natürlicherweise auch im Honig vorkommt. Die Varroamilbe wird jetzt in der Regel mit organischen Säuren wie Ameisen-, Milch- und Oxalsäure behandelt, man kann sie einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass es zu Resistenzentwicklungen kommt. Die Anwendung ist recht gut wirksam und verschafft uns genug Zeit für das, was Professor Bienefeld macht - der Leiter unseres Instituts hier -, die Vorroa-tolerante Biene zu züchten. Das wäre bei Nosema auch ein Fernziel, also die entsprechende Immunabwehr gegen solche Krankheiten in den Bienen heranzuzüchten. Aber in der Zwischenzeit müssen wir sie behandeln können.
Sehr wichtig ist auch die Art und Weise, wie neue Pathogene, neue Krankheitserreger hier reinkommen. Eben nicht nur über Bienenforscher, wie im Fall der Varroamilbe " Wir geben unserer Überraschung Ausdruck. "Na ja es ist ja allgemein bekannt. Die Varroamilbe, Varroa destructor, ist in den 70er-Jahren von Bienenforschern eines Bieneninstituts - Namen tun hier nichts zur Sache - nach Deutschland eingeschleppt worden. Sie brachten die asiatischen Bienen Apis cerana mit, um daran zu forschen. Die Varroamilbe sitzt auf der Apis cerana, richtet dort aber keinen Schaden an. Aber wie gesagt, die Pathogene kommen eben nicht nur über die Bienenforscher zu uns, sondern natürlich über den Handel mit Bienen weltweit, mit Königinnen. Also ich kann mir Königinnen schicken lassen, Bienenköniginnen muss man sowieso immer mit Pflegebienen verschicken. Ich kann mir aber auch so ein kleines Volk gleich als 'Paketbienen' kaufen, die werden im Paket verschickt. Es ist in Europa verboten wegen des hohen Risikos, aber es sind die Imker selbst, die dieses Risiko und das Verbot ignorieren, weil sie gehört haben, dass diese Biene, diese Königin besonders gut sein soll.
Das Verbot von Bienenimporten einzuhalten ist sehr wichtig, vor allem wegen des Kleinen Beutenkäfers, der in den USA bereits verheerende Schäden angerichtet hat. Es besteht die große Gefahr, dass er auch nach Europa eingeschleppt wird. Ursprünglich stammt er aus Afrika, 1996 wurde er im Süden der USA entdeckt und hat sich inzwischen im ganzen Land ausgebreitet, bis hinauf nach Kanada. Noch spielt er bei uns keine Rolle, es gibt aber vorsorglich eine Anzeigepflicht in der EU. Der ist in der Lage, Imkereien mit tausenden von Völkern dem Erdboden gleichzumachen, das kann man sich nicht vorstellen. Der ernährt sich von allem, was in dem Volk drin ist, Eier, Blut, Honig, Pollen, der vermehrt sich ganz fantastisch in den Völkern. In einem Film wurde eine amerikanische Großimkerei gezeigt, man sah eine riesige Lagerhalle mit Betonfußboden. Der Imker ging in Gummistiefeln durch diese Lagerhalle, weil er zentimeterhoch durch die Maden dieses Kleinen Beutenkäfers gewatet ist. Diese Imkerei war platt. Also es war sehr eindrucksvoll.
Aber kommen wir wieder zurück zu den Krankheiten, die wir hier haben. Noch mal zu den Ursachen: Ein Bienenvolk hat so viele Faktoren um sich herum, nicht nur Krankheiten, auch Umweltbedingungen usw. Ich muss, wenn ich über Bienensterben rede, nicht zwanghaft nach einem einzigen Grund suchen. Ich kann vielleicht sagen, dieses Jahr hat die Varroamilbe das Fass zum Überlaufen gebracht. Und zwar in Regionen, in denen Pflanzenschutzmittel ein Problem waren, aber auch in Regionen, in denen die Trachtversorgung ein Problem war, und auch in Regionen, in denen das Wetter ein Problem war. Wir haben drei verschiedene Bedingungen, die bedeuten, diesen Völkern geht es nicht gut. Und jetzt kommt noch ein Faktor drauf, und alle kippen um. Hier hängt eine Tabelle an der Wand. Das sind die Völkerverluste in der Vergangenheit. Sie sehen hier: 1945/1946 außergewöhnliche Winterverluste. Es war ein sehr kalter Winter und just Kriegsende, Zucker war Mangelware. Aber 1962/1963, 1972/73 und 1974/75 gab es die Verluste ebenso, 1995/96 und 2002/03 waren sie teilweise zwar höher, aber die Winterverluste gab es immer, schon vor dem Saatgutbeizmittel, schon vor der Varroamilbe, schon vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Das heißt, es muss Gründe geben, die unabhängig davon sind. Was nicht heißt, dass zum Beispiel die Varroamilbe keinen Schaden anrichtet. Sie ist einfach ein zusätzlicher Faktor gewesen. Ebenso verhält es sich mit Saatgutbeizmitteln und gentechnisch veränderten Organismen, GVOs. Bei uns sind nur 0,16 Prozent der Flächen mit GVOs belastet, aber die Bienenverluste waren flächendeckend. Gentechnisch veränderte Organismen können als zusätzlicher Faktor dazukommen. Es muss aber nicht so sein. Ich darf sie nicht als alleinigen Faktor an den Pranger stellen wollen. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist: Wenn ich aus ideologischen Gründen einen bestimmten Schuldigen anprangere, dann kann es mir passieren, dass ich den wahren Schuldigen laufen lasse, dass ich nicht mehr neutral das Ganze angucke.
atürlich, ich kann nur gute, fundierte Antworten liefern in dem Gebiet, das ich beherrsche. Das sind die Bienenkrankheiten. Das sind nicht Pflanzenschutzmittelvergiftungen und Ähnliches. Aber ich interessiere mich dafür, halte mich auf dem Laufenden. Es gibt grade jetzt zu genmanipulierten Pflanzen extrem gute Studien. Aber grade, weil sie gut sind und zeigen, dass es keine negativen Effekte gibt, die schlimmer sind als die Effekte der Pestizide, werden sie als Auftragsforschung diffamiert. Wenn ich natürlich hergehe und ein Maisfeld, auf dem GVO angebaut wird, mit einem Maisfeld ohne jedes Pestizid vergleiche, dann habe ich einen negativen Effekt. Nun, die Wirklichkeit ist die: Ich habe nicht diese Alternative in der Regel, sondern die Praxis in der Landwirtschaft ist: Pestizide oder GVO. Und da schneiden die GVO-Felder besser ab, was die Effekte auf die sogenannten Nichtzielorganismen betrifft. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist gegen MON 810 [Mais d. Saatgutkonzerns Monsanto, der mit einem Giftgen gegen den Maiszünsler ausgestattet wurde; Anm. G. G.] nichts zu sagen, weil das, was in MON 810 als Toxin exponiert wird, das wurde vorher tonnenweise auf den Feldern aufgebracht." Auf unsere Frage, weshalb die Imker zum Beispiel anderer Meinung sind und ihren Honig untersuchen ließen, sagt Frau Dr. Genersch: "Dass man im Honig was findet, ist schon richtig, weil dieses Konstrukt, was da in die Maispflanze eingebaut wurde, das befindet sich ja dann in der DNA der Pflanze. Und die DNA der Pflanze befindet sich im Pollen, und etwas davon befindet sich auch im Honig. Aber das ist kein Problem! Es gibt keinen Nachweis der Schädlichkeit. Und es gibt eine gesetzliche Regelung, die klar sagt, es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Honig. Aber wenn die Imker weiter so auftreten und dauernd behaupten, das sei eine Gefahr und der Verbraucher könne das fordern, dann bekommen sie ein Problem. Ja sicher, diese Verbraucher gibt es, das ist die Klientel, wenn ich die frage, ob diese Tomate schon Gene hatte, bevor sie eine Gentomate wurde, dann sagen die: 'nein'. Also, wenn ich das in den Diskussionen schon höre: Gentomate " Wir werfen ein, dass es ja nicht um irgendwelche Gene geht, sondern um gentechnisch veränderte Pflanzen.
Sie sagt leidenschaftlich: "Okay, aber Zucht ist immer eine genetische Veränderung. Wie findet denn Zucht heute statt? Die auch von den Grünen akzeptierte Zucht?" - "Durch Kreuzung", vermute ich. "Falsch! Die Pflanzen werden mit mutagenen Strahlen bearbeitet, um Mutanten zu erzeugen, völlig ungerichtet. Kein Mensch guckt nach, was durch die Strahlen alles kaputtgegangen ist, was die Nebenwirkung und was die Hauptwirkung ist! Die Auflage gibt es nur bei GVO. Oder ein anderes Beispiel: Die Imker behandeln ihre Waben mit einem Pulver, das Bacillus thuringiensis enthält. Dasselbe Bacillus thuringiensis, das im BT-Mais MON 810 ist. Wenn aber die Imker ihre Waben damit behandeln, dann kräht kein Hahn danach, dass ich dann diese DNA von diesem Bacillus thuringiensis aufnehme, das gilt als biologische Bekämpfung. Nur der MON 810 wird verteufelt. Seehofer hat ja jetzt entschieden, dass das Saatgut nur verkauft werden darf, wenn es ein groß angelegtes Umweltmonitoring parallel dazu gibt. [Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat im Mai dieses Jahres keine Bewilligung mehr erteilt für MON-810-Mais, erst sollen die offenen Fragen geklärt werden; Anm. G. G.] Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Die wird jetzt aber von den GVO-Gegnern als Beweis dafür genommen, dass hier noch eine Gefahr besteht." Auf die Frage, ob sie uneingeschränkt für genmanipulierte Pflanzen sei, sagt sie, ohne zu zögern: "Nein, nein." Ich frage, wo denn die Einschränkung sei? "Bei mir ist die Einschränkung da, wo ich sage, ich verurteile alles, was mit einer bestimmten Methode erreicht wurde. Ich will mir das Ergebnis angucken. Ob dieses Ergebnis, diese Pflanze, durch Züchtung oder durch Gentechnik hergestellt wurde, ist für mich egal." Elisabeth sagt, dass in der Natur quasi die Evolution die Auslese trifft.
"Gut. Da ist der Mais das Paradebeispiel. Der Mais ist über Jahrtausende hinweg gezüchtet worden. So sehr gezüchtet worden, dass nicht einmal die Molekularbiologen feststellen können, was einmal die Ursprungspflanze war. Tatsache ist, dass der Mais nicht mehr lebensfähig ist! Das, was wir an Mais haben, ist auf die Aussaat durch den Menschen angewiesen. Er würde, wenn er nicht ausgesät wird, von der Erdoberfläche verschwinden. So viel zur Evolution." Ich sage, dass ja wohl niemand etwas gegen Kulturmais einzuwenden hat. "Nein, aber wenn ich durch Züchtung jetzt zum Beispiel eine Rapspflanze erreiche, deren Blüten sich nicht mehr öffnen - und das gibt es -, wieso soll das besser sein, nur weils gezüchtet wurde, ohne Gentechnik? Ich muss mir das Ergebnis angucken, ich darf nicht alles verteufeln, nur weil es GVO ist." Wir hingegen finden sowohl das eine als auch das andere verteufelnswert.
ach einem erquickenden Rundgang übers Gelände, bei dem uns Frau Dr. Genersch ihr Labor zeigte, in dem ihre Doktorandin grade mit Bienenlarven arbeitet, kehren wir zurück ins Institutsgebäude. Im Erdgeschoss betrachten wir einen Schauraum, angefüllt mit Vitrinenschränken, auf denen alte geflochtene Bienenkörbe stehen. Es gibt große, auseinandernehmbare Bienenmodelle, Waben, Honig und altmodische Rollbilder, auf denen Bienen den Stock ausfegen, den Maden das Fläschchen geben und eimerweise Honig herbeischleppen. Wieder im Büro, seufze ich: "Die Bienen sind nicht wegzudenken."
"Sie sind tatsächlich unverzichtbar für unser Ökosystem, so wie es jetzt ist", sagt Frau Dr. Genersch und fügt hinzu: "In unserem jetzigen Ökokultursystem, weil ja auch viel Kulturlandschaft dabei ist. Da würde sich dramatisch was ändern, wenn es die Honigbiene nicht mehr gäbe. Keine Frage. Die Bestäubung wäre nicht mehr ausreichend, um die Quantität und Qualität zu bringen, an die wir uns so gewöhnt haben. Wenn wir aber damit leben könnten, dass der Apfel nicht EU-Handelsklasse 1 hat und nicht endlos zur Verfügung steht, dann könnten wir auch mit der Bestäubung leben, die die übrigen Insekten leisten. Der Mensch stirbt nicht aus ohne die Bienen. In Amerika hat es vor den Siedlern keine Honigbienen gegeben. Die Siedler haben sie im 18. Jahrhundert eingeschleppt. Und die Menschen dort haben vorher auch gelebt. Die Biene ist für uns unverzichtbar. Überleben können wir ohne sie."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz