Bewegungstermine in Berlin: Der Polizeistaat normalisiert sich
In der Silvesternacht hat sich Polizeirepression weiter normalisiert. Für Rassismusbetroffene und politisch Ungemütliche ist das kein gutes Zeichen.
B erlin wurde dieses Silvester von einer polizeilichen Übermacht erdrückt. Sondereinheiten, Wasserwerfer und Räumpanzer belagerten insbesondere den Bezirk Neukölln. Ein Polizeihubschrauber kreiste am Himmel, am Boden suchten Sprengstoffhunde nach Böllerlagern. In der von Bürgermeister Kai Wegner (CDU) angekündigten „Nacht der Repression“ verhaftete die Polizei 390 Menschen. Nur drei von ihnen sollen aber eine derart schwere Straftat begangen haben, dass ein Haftbefehl nötig wurde. Die von rechts herbeigeredeten Krawalle sind ausgeblieben.
Diejenigen, denen es ohnehin nie genug Polizisten geben kann, weil sie insgeheim jede Form von unkontrolliertem Leben verabscheuen, freuen sich jetzt natürlich. Mehr Polizei hat zu weniger Krawallen und mehr Sicherheit geführt, frohlocken sie, das Rezept „Mehr Polizei“ hat also gewirkt: Man muss nur jede menschliche Regung überwachen und kontrollieren – und schon tanzen auch weniger Leute aus der Reihe.
Unter den Tisch fällt dabei, dass die Gefahrenlage, die die Polizei angeblich verhindert hat, im Vorhinein von ebenjenen Leuten konstruiert wurde, die sich jetzt freuen. Die Neuköllner Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke) wusste jedenfalls schon vorher, dass die Jugendlichen keineswegs auf eine offene Konfrontation mit der militarisierten Staatsmacht hinfiebern. Im Kern basierte die Gefahrenprognose auf der rassistischen Wahnvorstellung, dass zehntausende Deutschland-, Israel- und Polizeihasser mit Migrationshintergrund den Aufstand proben wollen. Dass dieser ausgeblieben ist, sollte den Panikmachern zu denken geben – wird es aber nicht.
Der Polizeistaat als neues Normal
Vielmehr wird das Ausbleiben der Angstszenarien die rassistischen Ressentiments nur noch verstärken – weil der paradoxe Schluss gezogen wird, dass nur immer mehr Polizei die Wahrwerdung der Ängste auch in der Zukunft noch verhindern kann. Von der Silvesterdebatte bleiben wird die von rechter Presse und Politiker:innen befeuerte Assoziation von migrantischen Jugendlichen aus Arbeiterkiezen mit Gewaltlust und Judenhass. Am Ende profitieren wird davon nicht die CDU, sondern die AfD, die für die brutalste Umsetzung einer Politik getrieben von Rassismus und Ordnungswahn steht.
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Man muss sich auch keine Illusionen machen, dass es sich bei der Silvesternacht um einen einmaligen Ausnahmezustand gehandelt hat. Vielmehr reiht sich die Silvesternacht in eine seit Jahren voranschreitende Normalisierung massiver Repression ein. Und die bürgerliche Gesellschaft gewöhnt sich schnell an neue Normalitäten. Präventionsgewahrsam, die Stadt als Polizeifestung, dreistellige Verhaftungszahlen – all das wird künftig kaum mehr als Schulterzucken hervorrufen. Bleiben wird nichts weniger als die Normalisierung des Polizeistaates.
Manche hoffen vielleicht, dass sie die sich verschärfende Repression gegen migrantisierte Jugendliche nicht treffen wird, weil sie selbst nicht migrantisiert werden. Doch die Repression wird künftig alle ins Auge nehmen, die dem Staat zu ungemütlich sind – was neben Fußballfans vor allem die sozialen Bewegungen sind. Nicht erst die Kriminalisierung der Letzten Generation und die brutale Räumung von Lützerath vor einem Jahr haben gezeigt, wie Polizeigewalt zum Beispiel auch die fossile Zerstörung des Planeten für Konzernprofite verteidigen kann.
Es trifft einige, doch gemeint sind alle
Und die nächste Räumung könnte bereits bevorstehen: Räumungsbedroht ist derzeit die Waldbesetzung „Tümpeltown“ in der Leinemasch nahe Hannover, wo sich Aktivist:innen gegen den Ausbau des vierspurigen Südschnellwegs zur Wehr setzen. Jetzt in der Rodungssaison könnte die Polizei jederzeit anrücken. Am Donnerstag (4. 1.) findet deshalb im Bandito Rosso (Lottumstraße 10a) eine Infoveranstaltung der Waldbesetzer:innen statt. Um 18 Uhr gibt es eine kleine Küfa, um 18:30 Uhr beginnt der Inputvortrag.
Neonazis fühlen sich vom rassistischen Diskurs von CDU und AfD derweil immer öfter bestärkt, offen gewalttätig zu werden. Die JugendAntifaPlatte (JAP) meldet eine Häufung rassistischer Übergriffe in Marzahn-Hellersdorf. Besonders betroffen sind die U-Bahnstationen Wuhletal, Kaulsdorf-Nord und Kienberg, wo Neonazis Menschen bedrohen, Frauen Kopftücher herunterreißen oder Leuten ins Gesicht schlagen. Gegen die Normalisierung dieser Gewalt veranstaltet die Gruppe am Samstag (6. 1.) um 13 Uhr am Cecilienplatz eine Kundgebung.
Die dunkle Kehrseite des Rufs nach „Recht und Ordnung“ ist, dass diese Ordnung meistens zulasten der Rechte von jenen geht, die als anders markiert werden. Gleichzeitig wird jenen, die die Ordnung durchsetzen, die Freiheit zugestanden, sich über das Recht zu erheben.
„Oury Jalloh, das war Mord!“
So müssen rassistische Polizist:innen kaum fürchten, belangt zu werden, wenn sie mal wieder durchdrehen. Davon zeugt nicht zuletzt die schreiende Ungerechtigkeit, dass auch 19 Jahre nachdem Oury Jalloh im Dessauer Polizeirevier verbrannte, die Umstände seines Todes immer noch nicht abschließend geklärt sind. Dabei sprechen viele Beweise dafür, dass Jalloh nach seiner Festnahme am 7. Januar 2005 von Polizisten erst misshandelt und dann in seiner Zelle gefesselt und angezündet wurde.
Am kommenden Sonntag findet die alljährliche Gedenkdemonstration in Dessau statt. Los geht es um 14 Uhr am Hauptbahnhof Dessau. Aus Berlin fährt pünktlich um 10:30 Uhr ein Solibus am Oranienplatz ab. Wer mitfahren will, wird um eine kurze Anmeldung unter info@soli-bus.org gebeten. Alternativer Treffpunkt für eine gemeinsame Anreise ist um 11:30 Uhr am Potsdamer Hauptbahnhof, auf der Seite, wo die Busse und Trams abfahren.
Bereits am Donnerstag (4. 1.) findet in der K19 (Kreutzigerstraße 19) im Vorfeld der Oury-Jalloh-Demonstration eine Präsentation darüber statt, wie Polizeigewalt für viele Geflüchtete zum Alltag gehört. Es geht um neue Informationen zu dem Thema und um Strategien, gegen Polizeigewalt vorzugehen. Um 19 Uhr gibt es eine kleine Küfa, um 19:45 Uhr beginnt die Präsentation.
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