: Bewegungsfreude
Internationales Ophüls-Symposium in Saarbrücken ■ Von Gerhard Midding
Abschlußdiskussionen erziehen die Veranstalter von Symposien regelmäßig zur Bescheidenheit: Viele Themen wurden nur angerissen, für andere fehlte einfach die Zeit. Immerhin hofft man, Schrittmacherdienste geleistet und neue Ansätze geliefert zu haben. In Max Ophüls' Geburtsstadt Saarbrücken, wo man ihn zu einem besonders runden Geburtstag (dem 90.) ehrte, war es nicht viel anders. Referentenabsagen schmälerten die Bandbreite und die annoncierte Internationalität der Veranstaltung; Erkundungszüge durch thematisches Neuland gab es nur wenige, Untersuchungen von Filmen abseits des Kanons der bekannten Meisterwerke — Liebelei, Der Reigen, Madame De, Lola Montez — fehlten weitgehend.
Aber das Symposium hatte das Glück, mehr zu sein als die Summe seiner Referate. Unter den diskussionsfreudigen Teilnehmern herrschte Einigkeit darüber, unterschiedliche Ansätze und Begrifflichkeiten nebeneinander stehen zu lassen; so konnten Positionen, Anmerkungen und Beobachtungen zu verschiedensten Aspekten in Ophüls' Werk ineinandergreifen. Dieses Netz war so dicht, daß auch gelegentliche selbstzweckhafte Methodenstreits unter Hochleistungstheoretikern (viel name droping und Belesenheitsarien) nicht ausuferten. Es war ein zusätzliches Glück, daß Friedl Heilbronner, die jugendliche Schwester des Regisseurs, vieles beglaubigen und ergänzen konnte. Sie teilt die Leidenschaft ihres Bruders für aufschlußreiche Anekdoten und scharfsinnige Charakterbeschreibungen.
In den letzten Jahren hat die Filmtheorie Ophüls' Werk zunehmend für sich entdeckt und vereinnahmt. In Saarbrücken gab es zu diesem Schwerpunkt dennoch genügend Gegengewichte aus anderen Disziplinen. Was wird mir aus dem Vortragsprogramm im Gedächtnis bleiben, was hat meinen Blick auf Ophüls etwas verändert? Eine kleine Stegreifliste.
Hermann Naber, Hörspielchef des Südwestfunks, spürte Ophüls' „geheimer Neigung“ nach: der Radioarbeit. Bereits seit den zwanziger Jahren arbeitete er für den Hörfunk und wandte sich Mitte der Fünfziger noch einmal verstärkt dem Medium zu, wohl auch als Forum für Stoffe, die er im Kino nicht realisieren konnte. Seine avancierten Erzähltechniken sprengten die damaligen Konventionen: Mit der Überlagerung von zwei Erzählerstimmen und der Verwendung nur eines einzigen Aufnahmemikrofons verlangte er von den Toningenieuren ebensoviel Akrobatik wie von den Kameraleuten seiner Filme.
Der Wiener Karl Sierek konzentrierte sich in seiner Stiluntersuchung des Spätwerks auf Ophüls' raumgreifende Kamerabewegungen. In diesen überaus raffinierten und eleganten Plansequenzen entdeckte er ein Oszillieren zwischen Romantik und aufbrechender Modernität: Die Kamera folgt der Ruhelosigkeit der Figuren, die immer wieder von der Unausweichlichkeit der Erzählung eingeholt werden. Oft lösen sich die Bildläufe aber auch von den Figuren und gewinnen so Autonomie. In dem sich verdickenden Zeitfluß der langen Einstellungen (je länger sie dauern, desto weniger passiert in ihnen) offenbaren sich Parallelen zur Hörspieldramaturgie Ophüls', insbesondere in seiner Schnitzler-Adaption Berta Garlan, wo er mit dem Stillstand der Zeit experimentiert.
Unbeeindruckt vom tradierten Bild Ophüls' als dem herausragenden Schöpfer von Frauenfiguren, untersuchte Gertrud Koch die Geschlechterbeziehungen in seinen Filmen. Sie konstatierte eine Feminisierung der Männerfiguren, auch den männlichen Versuch, eine weibliche Perspektive einzunehmen — nicht indes einen femininen Blick.
Der Tagungsleiter Helmut Asper erinnerte an die umfangreichen Theaterarbeiten Ophüls', in der viele Vorgriffe auf die Filminszenierungen erkennbar werden: die Bewegungsdynamik, die Bedeutung des Dekors und der Musik. Ophüls bemühte sich, in der Provinz zeitgenössisches und auch -kritisches Theater durchzusetzen; die Wahl der Stücke verwies, weit stärker als die der Filmstoffe, auf sein politisches Engagement. Ein Glanzlicht schließlich auch der Vortrag von Lutz Bacher, der die Produktionsgeschichte der amerikanischen Ophüls-Filme en detail recherchiert hat. Er protokollierte, wie Ophüls' Stilwille und die Bewegungsfreude seiner Kamera zunächst die Dreh- und Kostenpläne der Studios sprengten, daß er sich später aber dem Arbeitstempo immer mehr anzupassen lernte. Eine faszinierende Chronik der Zugeständnisse und Verführungskünste, mit Hilfe derer er sich in Hollywood behauptete.
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