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Bettelstudium zulässig

■ Verwaltungsgericht: Bafög darf Sozialhilfe unterbieten

„Sind wir uns einig darin, daß Studenten und Sozialhilfeempfänger beide unter den Begriff Mensch fallen?“ fragte Sven Sommerfeldt die Richter am Verwaltungsgericht. Darüber bestand kein Zweifel, und deshalb setzte der Jura-Student genau da mit seiner Argumentation an. Was einem Sozialhilfeempfänger als Existenzminimum zugestanden werde, um sein „menschenwürdiges Leben“ zu sichern, müsse auch für StudentInnen gelten. Daher, so der Kläger, sei die Bemessung des Bafög-Satzes, die unter dem Satz für die Sozialhilfe liegt, ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Wenn das Verwaltungsgericht auch dieser Meinung sei, müsse es das Verfahren aussetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Dort war eine Verfassungsbeschwerde des Studenten bereits im März 1993 nicht angenommen worden. Und auch die Bremer Verwaltungsrichter machten in der Verhandlung deutlich, daß sie der Argumentation Sommerfeldts kaum folgen werden: Denn weder konnten sie ein Grundrecht auf eine geförderte Ausbildung an der Universität erkennen, noch sei die Unterscheidung der Behörden zwischen Studenten und Sozialhilfeempfängern willkürlich. Das aber hatte Sommerfeldt moniert. Seine Bafög-Zahlungen zwischen Oktober 1992 und September 1993 von monatlich 870 Mark lägen unter dem Existenzminimum von 1.000 Mark. Den Einspruch gegen den Bafög-Bescheid hatte die Bildungsbehörde allerdings zurückgewiesen, dagegen klagte der Student.

Aus dem Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl konnten die Richter der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts kein „Recht auf eine geförderte Ausbildung“ ableiten. Auch das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz sei nur ein Prinzip und kein Recht und daher in seinen konkreten Formen nicht einklagbar; die Festlegung sei dem Gesetzgeber überlassen. „Sie bewegen sich da juristisch auf dünnem Eis“ hieß es vom Richtertisch zu Sommerfeldt. Der Student habe versäumt, nachzuweisen, daß sein Recht auf freie Berufswahl „auf evidente Weise verletzt“ worden sei. „Sie haben nicht angeführt, in der Zeit Hunger gelitten zu haben“, meinte der Richter. „Das hätten Sie mir ja ohnehin nicht geglaubt“, meinte der Student.

Der Antragsteller machte allerdings einen logischen Punktgewinn bei der Frage der Gleichbehandlung nach Artikel drei Grundgesetz: Existenzminimum sei schließlich Existenzminimum. Da widersprachen ihm die Richter: Der Gesetzgeber habe bei der Ungleichbehandlung nicht völlig willkürlich gehandelt, denn Studierende und Sozialhilfeberechtigte befänden sich in unterschiedlichen Lebenssituationen: „Wenn ein Sozialhilfebezieher jemanden einlädt, blamiert er sich, wenn er keinen Wein anbieten kann. Studenten können auch Tee servieren“, meinte ein Richter und bewies damit, daß seine Studienzeit schon einige Jahre zurückliegt.

Schließlich bekämen StudentInnen ja Vergünstigungen, die SozialhilfeempfängerInnen nicht zuständen: So könnten Studierende Geld von ihren Eltern einfordern oder bis zu einem Freibetrag im Studium Geld verdienen, ohne es sich aufs Bafög anrechnen zu lassen (Sommerfeldt: „Dafür bleibt im Studium kaum Zeit.“). Außerdem gebe es indirekte Subventionen für das Studentenleben wie zum Beispiel Studentenwohnungen (Sommerfeldt: „Für nicht mal zehn Prozent der Studenten“), billiges Mensa-Essen („Davon wird man nicht satt.“), verbilligte Eintrittskarten für Kino und Theater („Nur noch in einem Kino in Bremen“). Und dann befänden sich StudentInnen nicht in einer unverschuldeten Notlage wie BezieherInnen von Sozialhilfe, sondern hätten Ihren Status selbst gewählt. Außerdem hätten Studierende die Erwartung, nach den Lehrjahren an der Universität später gutbezahlte Jobs anzunehmen. „Die Zeiten sind vorbei“, meinte dazu Sven Sommerfeldt. bpo

Das Urteil ergeht in zwei Wochen.

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