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Bett-Man Oswalt Kolle

Der kleine Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat und die unendliche Geschichte des O.  ■ Von Harald Keller

Weiland war Bett-Man allgegenwärtig. Ob er im Auftrag der Quick dem Profumo-Skandal nachspürte oder großspurig „Deutsche Frau — das ist dein Mann“ schlagzeilen ließ — Bett- Man kannte kein Pardon. Er kennt es noch immer nicht: „Sexuelle Befreiung, dafür habe ich gekämpft, und dafür kämpfe ich weiter“, drohte er jüngst in der haarsträubend peinlich und kosmisch quälenden SWF- Talkshow „Beziehungskiste“. Da heißt es Deckung nehmen, Unterschlupf suchen, das Exil anpeilen. Nur die Tapfersten unter uns wagten es, seine durch Videoclip-Ästhetik und indiskrete Interviews hochgepeppten Aufklärungsklassiker aus den sechziger Jahren zu begutachten.

Zu Beginn stellt sich Bett-Man selbst ins Bild, ehrfurchtgebietend, einschüchternd gar, der Inbegriff von Autorität. Messianischer Wahn scheint ihn gepackt zu haben, der pure Irrsinn züngelt aus den weit aufgerissenen Augen — doch realiter ist es der textspendende Teleprompter knapp neben der Kamera, der sich in den leichenstarren Pupillen spiegelt. Sein Blick kreuzt die Bildachse und gefriert förmlich angesichts des nutzreichen Geräts, das ihn mit den kategorischen Imperativen des unermüdlichen Sexualaufklärers versorgt. „Sagen Sie ehrlich, was Ihnen Spaß macht“, herrscht er sein Publikum an, und ich gelobe klammen Gemüts, nie wieder unehrlich zu sein. Aber er meint mich ja gar nicht. Mit versteinerten Gesichtszügen leiert er tonlos, gleichsam unbeteiligt seine Botschaft herunter: „Auch in der Ehe können viele Frauen ihrem Mann nicht ihre sexuellen Wünsche deutlich machen. Was sie daran hindert, ist mehr als Scham, mehr als Feigheit. Manche schweigen nur, weil sie die ablehnende Reaktion des Mannes fürchten, desselben Mannes, mit dem sie sonst über jedes Thema offen sprechen können.“

Schlaghosen spreizen sich in Bildschirmbreite

Da diese Angelegenheit geklärt ist, wenden wir uns nun den Fallbeispielen zu, allesamt den Spätsechzigern und Frühsiebzigern entnommen, aber nach wie vor schwer brisant und notorisch aktuell. Dem Zuschauer wird ganz blümerant zumute, die Bilder verschwimmen. Knallrote Rollkragenpullover tauchen aus dem Nebel auf, Schlaghosen spreizen sich in voller Bildschirmbreite, Blondinen schälen sich aus engen Knautschlackpellen. Doch nicht die Sehkraft ist gestört, der damalige Kameramann hatte es vorgezogen, die Augen seiner Zuschauer durch Einsatz eines fettfleckigen Weichzeichners zu schonen. Dezentes Halb- bis Volldunkel umhüllt, was von der Textilie befreit. Gewagt erscheinen allenfalls ein paar ungemein avantgardistische, dem damaligen Zeitgeschmack geschuldete Kameraeinstellungen. Das einzige, was erkennbar an- und abschwillt, sind die Geigen des Studiokapellmeisters. Erwachsene Menschen tollen verliebt über grüne Wiesen und treiben auch sonst allerlei schabernackige Kindereien, die im wahren Leben mit der gerichtlichen Entmündigung zu enden pflegen.

Dazu hat „Bett-Man“ Dialoge geschrieben, die selbst in einem Lore- Roman unangenehm auffielen: „Er hat mich zum Eis eingeladen, und ich hab irgendwas Blödes über die Regierung gesagt. Und er hat angefangen, mir den Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat zu erklären. Beim Eisessen, stell dir das mal vor! Ja, und dann hat er mich gefragt, ob ich nicht mit zu ihm auf die Bude kommen will, da könnte er es mir besser erklären. Na, und ich bin mitgegangen.“ Und wenn ihr jetzt denkt, was alle denken würden, habt ihr euch geschnitten: Es blieb bei der Staatsbürgerkunde. Dennoch fanden die beiden später zueinander, „er war ganz bei ihr“, um im Kolle-Jargon zu bleiben. Als Ausdruck höchster Lust knabberte die Delinquentin auf dem Zeigefinger herum und schnepfte aus dem Off in die von mörderisch bunten Tapetenmustern verunstaltete Wohnstube: „Ich war fast ein wenig traurig, als er sich von mir löste.“ Keine Frage, daß auch die Zigarette danach zum Repertoire gehört.

Neben Beischläfrigkeiten wie diesen gibt es gelegentlich eine geballte Ladung Sozialkritik. Ein Protagonist im Hausflur seines Wohnsilos: „Hier bin ich zu Hause. Kommt mir vor wie ein Staatsgefängnis. Und lauter Gefangene. Man müßte jetzt schreien: ,Raustreten‘. Dann würden sie rauskommen...“ Oh, bitte nicht! Bleibt drin in eurem Reich der schwindenden Sinne, ihr vom Eros gepeitschten, von der Libido zerfrästen Sklaven der Reinschiebquote! Mopst euch, Simulanten, auch weiterhin in reingeweichten Laken, schlachtet Kissen, verhäkelt und verhakelt euch — aber hinter dem Bildschirmglas! Denn es ist ein beruhigendes Gefühl, daß auch mit Hilfe der Fernbedienung noch Einhalt geboten werden kann. Noch. Denn manchmal werden Horrorfilme Wirklichkeit...

Heute abend gibt's im Kulturkanal 3sat um 21Uhr „Begegnungen. Oswalt Kolle im Gespräch mit Paul Burkhalter“.

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