die stimme der kritik: Betr.: Trend zur Wallfahrt
Gott schläft nicht
Beim Marktforschungsinstitut Ears and Eyes verzeichnet man einen neuen Freizeitrend: „Kickboard fahren“. Jeder fünfte Deutsche zwischen 14 und 49 Jahren plane, demnächst einen dieser „trendigen Roller“ anzuschaffen, die zur Zeit verstärkt im Straßenbild der deutschen Großstädte auftreten, stellte das Institut in einer repräsentativen Online-Umfrage fest.
Im niederrheinischen Kevelaer ist das Kickboard allerdings noch nicht angekommen. Die Veranstalter der dort heute beginnenden Internationalen Jugendwallfahrt (IWL) setzten daher gezwungenermaßen auf die etablierteren Trends der mobilen Gesellschaft: „Du kannst dich selbst entscheiden, auf welche Art du wallfahren willst, zu Fuß, per Inline-Skates oder per Kanu“, erklärte das „IWL-Team“. In Kevelaer will man ein Zeichen setzen und das dem Pilgertum im allgemeinen angelastete „Großmutterimage“ aufpolieren: Gott nämlich, so weiß man in der im Jahr 1642 von der Jungfrau Maria zum Gnadenort erwählten Stadt, ist keineswegs verstaubt, sondern „jugendbejahend und cool“. Das belegen auf der Homepage der Veranstalter Fotos von einer lässigen „Happening Party“ anlässlich einer der letzten Jugendwallfahrten, zusammen mit Aufnahmen von jungen Leuten, die in „Workshops“ im Schneidersitz über Fragen wie „Kirche verstaubt?“, „Wie werde ich glücklich?“ oder „Wie schreibe ich einen Song?“ reden. Es ist schön, wenn junge Menschen selbst was auf die Beine stellen.
Besonders eindrucksvoll ist das Foto des jugendlichen niederländischen Weihbischofs Everard de Jong, der als Gastredner in Kevelaer erwartet wird. Er hat sich vorab schon mal in entspannter Slackerpose als „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh. 1,29) porträtieren lassen. In schwarzem Satinhemd, mit lasziv verrutschtem Kreuz und einem vermutlich von einer zu starken Gabe Weihrauch in heilige Verzückung entrückten Gesichtsausdruck: Unter dem Motto „Higher Hope“ steht Sarah Brendels Auftritt, der Höhepunkt des „christlichen Musikevents Rap & Pop“ am Samstagabend im Bühnenhaus des Wallfahrtsortes, und Weihbischof de Jong wird tanzen. Kevelaer liegt im Trend, und das ist schön. Im nächsten Jahr müssen dann aber auf jeden Fall auch Kickboards her. Gott schläft nicht. KOLJA MENSING
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