: Betr.: Sergej, 17, leitet in Moskau eine lokale Internetfirma
Sergej, 17, leitet in Moskau eine lokale Internetfirma und absolviert daneben ein Ingenieurstudium; sein Vater ist Geologieprofessor und Kommunist, seine Mutter ist Köchin:
Ich habe Glück mit meinem Alter. Die Prägung meines Charakters ist in die Zeit des Beginns der marktwirtschaftlichen Reformen gefallen. Schon mit zwölf Jahren habe ich auf dem Markt Computerteile verkauft. Der Weg vom Verkäufer zum Firmengründer war für mich gar nicht sehr weit. Als Verkäufer habe ich schnell den Mechanismus von Angebot und Nachfrage begriffen. Mit drei Kollegen habe ich ein lokales Internetnetz aufgebaut. Elf Häuser sind bei uns abonniert und wurden von uns eigenhändig verkabelt. Wir bieten interne Kommunikation, Spiele und ein Archiv mit Musik und Programmen.
Ich bezahle noch keinen Lohn, alles wird sofort in die Firma investiert. Der nächste Schritt in naher Zukunft wird der Anschluss ans allgemeine Netz sein. Formell ist die Firma, wegen meines Alters, unter dem Namen meiner Mutter registriert. Aber sie unterschreibt nur, was ich ihr vorlege. Neben meinem Geschäft studiere ich. Ich habe ein Studium gewählt, das mich absolut nicht interessiert. Kriterien für die Wahl waren die Nähe der Uni zu meiner Firma, dass das Ingenieurstudium nicht viel Zeit beansprucht und dass es mich von der Armee befreit.
Das größte Problem meines Landes ist, dass die Menschen nichts von sich aus machen wollen. Sie erwarten immer, dass jemand für sie entscheidet, dass jemand für sie sorgt. Mein Freund Andrej hier meint, dass von der russischen Seele immer weniger übrig bleibe, dass die Menschen mehr und mehr wie alle anderen in Europa würden. Er sagt, schon jetzt seien alle ständig beschäftigt. Na und? Ich bin optimistisch, alles wird gut. Jetzt muss sich nur die Mittelklasse entwickeln. Je schneller das geht, desto mehr Geld wird auch der Staat für Subventionen und soziale Unterstützung bekommen.
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