: Betr.: Scharia
Im Familienrecht bildet die Scharia bis heute in allen arabischen Staaten die Grundlage der Rechtsprechung. Die islamischen Quellen, der Koran und die Sunna, überliefern relativ genaue Anweisungen zum Ehe- und Scheidungsrecht. Nach klassischem islamischem Recht bedarf es bei der Ehe nicht der Zustimmung der Frau. Der Mann darf bis zu vier Frauen an seiner Seite haben, und im Gegensatz zu ihm besitzt sie nicht das Recht, sich scheiden zu lassen.
In einigen Staaten wird derzeit der Versuch einer Reformierung des klassischen Familienrechts unternommen, ohne sich dabei von der Scharia zu distanzieren. Idschtihad heißt die nach islamischem Recht zulässige Methode, mit der die Rechtsquellen neu interpretiert werden können. Dabei konzentriert man sich nicht auf die eigentlichen Regeln, sondern auf die Prinzipien, die den Regeln zugrunde liegen, um aus diesen Prinzipien neue Regeln abzuleiten. Prominentestes Beispiel ist die Vielehe im tunesischen Familienrecht. Voraussetzung für die Vielehe ist, daß alle Frauen gleich behandelt werden müssen. Tunesische Rechtsgelehrte haben dies über die finanzielle Absicherung hinaus interpretiert. Einzig der Prophet Muhammad, der selbst mehrere Frauen hatte, sei fähig gewesen, die Frauen emotional gleich zu behandeln, schlossen sie. Einem normalen Mann könne dies nicht gelingen, er erfülle somit nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung. Damit sei die Vielehe im Islam theoretisch erlaubt. Faktisch ist sie den Männern in Tunesien aufgrund ihrer emotionalen Unfähigkeit verboten.
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