: Betr.: River Phoenix
Wenn überhaupt jemand sich mit dem Titel „Engel“ schmücken dürfte, so dieser Gefallene, hier in Pietà-Konfiguration gehalten von Keanu Reeves. Schon in der Eröffnungssequenz von Gus Van Sants „My Own Private Idaho“ führte River Phoenix sich ein als ein narkoleptischer Jenseitiger, der an der Straße horcht, die ihn durch Amerika führt. Er ist ein Strichjunge – eine bis dahin ziemlich unbekannte Figur im amerikanischen Filmarsenal. Mitten in den müden kokainvernebelten Gesprächen von „Idaho“ fällt er in kurze Absencen, ein Drugstore Cowboy, der zu schwach ist für diese Welt. Wenn die Gangs von Portlands Straßen auf ihn zukamen, wenn sein Liebster von ihm weg zu einer Italienerin trieb, River Phoenix just passed out, schlief kurzfristig aus dem Leben. Am Sonntag ist er, im Alter von 23 Jahren, aus einem Nachtclub in Los Angeles gekommen und tot umgefallen.
Er war nicht nur die narkotisierte Fortsetzung von James Dean mit anderen Mitteln, er war auch ein ragazzo, wie er im Pasolini-Drehbuch steht, ein Eckensteher, den ältere Herren umschwärmen, ohne seiner je habhaft zu werden. Genauso verlängert er aber die Linie der Beat Generation als Burroughsscher schwuler Junkie; niemand hätte ihn in einem Film von Morrissey oder Warhol befremdlich gefunden, und wenn es ihn, womöglich an der Seite von Udo Kier, in einen Fassbinder- Film verschlagen hätte, so wäre das auch kein Mirakel gewesen.
Viele amerikanische Schwule hofften, in ihm einen Protagonisten zu finden, der einfach ein sexy Teenager war und nicht ein weiteres „Kuckucksei“ für den korrekten Problemfilm.
Das Faszinierende an River Phoenix war, daß er gleichzeitig so ein All American Boy war und daß er sich nahtlos in die Reihe von Billy the Kid bis hin zu „Indiana Jones“ mitten ins Spielberg-Paradies einreihen ließ. Als Miniausgabe von Robert Redford fungierte er in „Sneakers“ als das Computergenie, das nichts anderes im Kopf hat als „Dating“.
Er hätte sein Programm für Millionen verkaufen können, aber er wollte nur eine Telefonnummer... Er war „Mother Nature's Son“ im Ökodrama „Mosquito Coast“, einem durchgeknallten Erfinder-Vater ausgeliefert, der dem Urwald Eis bescheren will.
Überhaupt hat er sich als der verlorene Sohn etabliert, dem Amerika nichts mehr zu geben hat: Schon in der Teenager-Fantasie „Stand by Me – Geheimnisse eines Sommers“, in dem eine Gruppe ratloser Jugendlicher aus Portland eine Wasserleiche findet, war dieses Muster angelegt. Er chargierte nicht, er war kein „Actor's actor“, er war einfach ein verlorener Sohn, nur zu Gast hier. mn
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