: Betr.: Julius Moses
Dr. Julius Moses rauchte für sein Leben gerne Zigarren. Doch nach 1933 fiel es dem 65jährigen immer schwerer, sein Vergnügen zu bezahlen. „Das ist der größte Etat: Die Cigarren! Ich kann mich nicht freimachen vom Rauchen, so sehr es auch erwünscht wäre im Interesse unserer Finanzen“, schreibt Moses 1934 an seinen Sohn Erwin. Den ehemaligen Reichstagsabgeordneten traf der dreifache Fluch der Nationalsozialisten: jüdisch – intellektuell -– rot. Mit der „Machtergreifung“begann sein sozialer Abstieg. Verschärft wurde er schon 1935 durch die Nürnberger Gesetze. Moses mußte seine zweite Lebensgefährtin und den gemeinsamen Sohn verlassen und – wie Viktor Klemperer und viele andere – in einem Berliner Judenhaus wohnen. Dann, im Juni 1942, deportierte ihn die SS nach Theresienstadt. Moses starb nach wenigen Wochen ausgehungert auf dem Boden eines Kasernenraumes, den er mit zehn weiteren Männer teilen mußte. In der SS-Terminologie galt er als „prominenter Häftling“.
Bekannt wurde der Politiker Moses durch die „Gebärstreik“-Kampagne. 1912 rief der SPD-Genosse die Frauen auf, sich der Fortpflanzung zu verweigern. Schon im Kaiserreich verlangte er Geburtenkontrolle und sprach beim Thema Abtreibung über „das Recht der Frau auf den eigenen Leib“. Hellsichtig erkannte Moses vor dem I. Weltkrieg, daß die Überbevölkerung in Deutschland auch dazu diente, die Reihen im Heer des Kaisers zu schließen. Später – in der Weimarer Republik – saß er zwischen 1920 und 1932 als Abgeordneter im Reichstag. Der studierte Arzt war lange gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Sein Judentum hatte Moses, obwohl er nicht außergewöhnlich religiös war, nie verleugnet. Er engagierte sich in der Weimarer Zeit gegen verschiedene Formen des Antisemitismus. Im letzten Handbuch des Reichstages vor 1933 ist Moses einer der wenigen deutsch-jüdischen Abgeordneten, die ihre Religion in der Vita erwähnen. Doch ein Jahr, bevor Hitler zum Reichskanzler ernannt wird, schied Moses aus dem Reichstag aus. Sein Berliner Ortsverein stellte ihn nicht mehr zur Wahl. Ob aus Altergründen oder weil er selber resignierte, muß offen bleiben.
Anders als seine drei Kinder aus erster Ehe wanderte Moses aber nicht aus. Sein 1897 geborener Sohn Erwin verließ als erstes Kind im Mai 1933 Deutschland. Erwin emigrierte mit seiner Familie nach Tel Aviv. Vater und Sohn schrieben sich bis zum Beginn des Krieges, im September 1939, Briefe. Diese 185 Briefe hat nun der Historiker Dieter Fricke in seiner Dissertation zusammengetragen, geordnet und hilfreich kommentiert. Das 600 Seiten dicke Werk läßt die Schreiblust und Schreibwut von Moses erahnen. Während der belesene und humorvolle Moses in seinen Briefen, oft verschlüsselt, von deutschen Verhältnissen und seinem sozialen Abstieg berichtet, beschreibt der Sohn Erwin den Aufbau des jungen Palästinas. Schon das macht den Briefwechsel einzigartig.
Doch der Nachlaß von Julius Moses ist noch größer. Briefe, Fragmente einer Familienchronik und Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus hat der Politiker aufgehoben und sorgfältig in Mappen geordnet. Die Mappen bewahrt inzwischen sein jüngster Sohn Kurt Nemitz auf. Kurt Nemitz, 1925 geboren, ist das Kind einer späten Liebe von Moses. Während der „Gebärstreik“-Kampagne lernte Moses die Politikerin Anna Nemitz und ihre Tochter Elfriede kennen. Mit Elfriede lebte Moses nach 1913 in „wilder Ehe“zusammen, da seine erste Frau– trotz einer zerrüteten Ehe– keine Scheidung wollte. Die Beziehung war sehr glücklich und hielt bis zur Deportation von Moses im Jahre 1942. In Bremen ist Kurt Nemitz bekannt. Zwischen 1976 und 1992 war er Präsidenten der Bremer Landeszentralbank. Mit der taz unterhielt er sich über seinen Vater, den Nachlaß und seine eigene Vergangenheit. Susanne Leinemann
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