stimme der kritik: Betr.: Die schnurlose Gesellschaft
Mutterrecht und Kinder-Pingui
Jahrelang hat der Süßigkeitenhersteller Ferrero versucht, über die Kindermilchschnitte in Deutschland das Matriarchat wieder einzuführen, und beharrlich auf die mutterrechtliche Tradition der „Pausenmahlzeit“ hingewiesen: Seit Generationen schon, so die suggestive Kernaussage der Werbespots, geben Mütter das Geheimnis der Kindermilchschnitte weiter.
Jetzt ist Ferrero von dieser Überzeugung abgewichen und setzt in der Werbekampagne zum bisher unterschätzten Produkt Kinder-Pingui eindeutig auf die elementaren Strukturen des Patriarchats. Die „Schoko-Schnitte“ sei die kleine Mahlzeit „im Handy-Format“, erfährt man in den Werbeblöcken zwischen den Vorabendserien, und Ferrero greift dabei auf die neuesten Erkenntnisse von Experten zurück: Die italienische Psychologin Giani Gallino hat 500 Kinderzeichnungen analysiert, die darauf abgebildeten Mobiltelefone und Väter gezählt und ist zu dem Schluss gekommen, dass „ein Vater, der Handys verkauft, sehr prestigeträchtig ist“.
Dass das Handy offenbar dem Gesetz des Vaters näher steht als dem Bild der Mutter bzw. der Frau im Allgemeinen, beschäftigt auch die aktuelle Ausgabe des deutschen Mobilfunkmagazins Funky Handy. Dort werden nicht nur Benimmfragen diskutiert – „Was tun, wenn ein fremdes Handy klingelt, und der Besitzer nicht im Raum ist?“ Vor allem werden sehr viele Fotos von jungen Frauen abgebildet, die mit Handys gut klarkommen und damit possierlich auf dem Teppich oder im Bett kuscheln und herumtollen: Wap me, darling.
Doch gibt es auch Probleme. Das Klingeln eines Handys „in der Damenhandtasche“ wird gerne mal überhört, und auch der telefoninterne Vibrationsalarm nützt da nichts. Gut, dass es ein „Wireless Vibrating System“ gibt. Das ist ein schnurlos mit dem Handy verbundener Minivibrierclip, den man und vor allem frau sich überallhin stecken kann: lieferbar „in verschiedenen modischen Trendfarben – er eignet sich damit auch als Schmuckstück“, weiß Funky Handy. Das ist die Chance für die Mütter, die laut Giani Gallino heutzutage auf den Kinderzeichnungen bereits zu „anonymen Silhouetten“ verblasst sind: Wenn Papa angerufen wird, beginnt Mama, prestigeträchtig und trendbewusst zu vibrieren.
KOLJA MENSING
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