: Betr.: Die Sehnsucht nach Alltag
Lula Kifle (25) aus Addis Abeba in Äthiopien: Letztes Jahr hatte ich zwei Ausbildungsplätze gefunden. Erst als Bauzeichnerin – das Arbeitsamt hat es verboten. Dann als kaufmännische Assistentin – das Arbeitsamt hat es verboten. Ich hatte die Ausbildung sogar schon angefangen. Nach zwei Monaten musste ich wieder aufhören, obwohl die Firma mich gern behalten hätte. Das Arbeitsamt hat immer wieder angerufen und Druck gemacht: Sie haben gesagt, dass die Ausbildungsplätze zuerst für Deutsche sind und dass ich sowieso ausreisen muss. Ich bin im Mai 92 nach Berlin gekommen, ganz normal mit dem Flugzeug von Addis Abeba. Mein Vater war im Krieg gefangen worden, meine Mutter hat uns Kinder ins Ausland geschickt. Drei Geschwister sind nach Australien, mein älterer Bruder war schon in Berlin und hat mir eine Einladung geschrieben. Er wollte mich hier adoptieren, weil ich ja damals erst 16war. Aber da hat man uns gesagt, ich müsste zurück nach Addis Abeba, weil man die Adoption nur dort machen kann. Ich bin hier geblieben und habe einen Asylantrag gestellt. Ich habe ein Fachabitur in Design gemacht, am Oberstufenzentrum in Kreuzberg. Mit der Ausbildung hat es nicht geklappt, jetzt lebe ich schon ein Jahr von Sozialhilfe. Ja, das ist nicht so toll, aber besser als in einem armen Land leben, wo Krieg ist. In Berlin bin ich gläubig geworden, seit drei Jahren gehöre ich zur äthiopischen Gemeinde. Früher war ich am Wochenende in der Disco, jetzt ge- he ich in die Kirche.
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