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die stimme der kritikBetr.: Das Sommerlochparadox

Der Begriff des Hundes bellt nicht

Wie so oft gerade und vor allem im Sommer ist die Nachrichtenlage widersprüchlich, vielleicht sogar „paradox“, um mit dem dänischen Philosophen Kierkegaard zu sprechen. Sommer verrückt also: einerseits mörderische Hitze in der Türkei, andererseits Schnee in der Schweiz. In Wien bebt die Erde, in Berlin haben die Freibäder wieder geschlossen. Des Weiteren wurden vorgestern die niedrigsten Luftdruckwerte seit Beginn der öffentlichen Luftdruckmessungen 1935 gemessen. Die Promis, die wir uns halten, machen wie das Wetter einen eher unstabilen Eindruck: Bundestrainer Juhnke trieb es nach drei Jahren der Zurückhaltung wieder zum Wodka, „Raketen-Pionier“ Hermann Kurzweg starb mit 92 an Alzheimer, und Ernst August, der Pipimann, soll womöglich 1,2 Mio. Mark wegen Gewalt zahlen, deren Begründung, allen autonom orientierten Mitmenschen ein Schmunzeln aufs finster-entschlossene Gesicht zaubern dürfte: „Du deutsches Schwein“, hätte er gerufen, als er auf den auslandsdeutschen Discothekenbesitzer Josef Brunlehner eindrosch.

Schön wie die Insel Lamu vor Kenia ist es auch, wenn zwei Meldungen in der Bild-Zeitung einander ganz unkompliziert ergänzen: Auf einem nur notdürftig als Anzeige getarnten Text auf Seite 1 verkündet also der Ausnahme-Schauspieler und Lebenskünstler Heiner Lauterbach, „Ich bin topfit“ und dass er eine Rennfahrerlizenz erwerben wolle – und dass das alles daher komme, weil er sich tagein, tagaus mit „Longlife“-Brausetbletten versorge. Ein paar Seiten später wird berichtet, dass Jenny Elvers, die Exfreundin von Lauterbach, grad öffentlich mit Big-Brother-Alex geturtelt hätte. Immer noch keine Ahnung, wer Jenny Elvers, 27, ist, doch so langsam scheint Alex, 37, medial aufzuholen und Zlatko hinter sich zu lassen; dass man das alles so interessiert wahrnimmt, scheint darauf hinzudeuten, dass man doch recht nah am Sommerloch gebaut hat, in das man Sonntagnacht in der Berliner Technodiskothek „Tresor“ auch voll hineinfiel, als eine Freundin Big-Brother-Jona versehentlich auf den Fuß trat. Ein beeindruckendes Erlebnis, das einen lernte, dass es die Menschen aus Bild und Fernsehen tatsächlich auch in Wirklichkeit gibt. Apropos Hunde: „Der Begriff des Hundes bellt nicht.“ (Spinoza)

DETLEF KUHLBRODT

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