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Besuchsprotokolle als Indizien

■ Prozeß gegen Luitgard Hornstein: Die Post- und Besuchskontakte der mutmaßlichen RAF-Gefangenen wurden vom BKA komplett erfaßt / Die Protokolle sollen Beweiskraft erlangen

Von Edgar Neumann

Stuttgart (taz) - „Sie sollten vorsichtig sein, Herr Rechtsanwalt, wenn Sie eine Behörde derart verdächtigen!“ Die Ermahnung Ulrich Berroths, des Vorsitzenden des 4. Strafsenats beim Oberlandesgericht Stuttgart, gilt einem der Verteidiger von Luitgard Hornstein. Der hatte es gewagt, einen Beamten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA), der seit acht Jahren Besuchsüberwachungen bei Gefangenen aus dem „TE-Bereich“ (Terrorismus) betreibt, zu fragen, ob er denn auch den Postverkehr der Inhaftierten in Kopie erhalte. Naheliegend war dieser Verdacht, nachdem der Kriminalhauptkommissar am 13. Verhandlungstag in der Stammheimer Prozeßneuauflage um den Dornier-Anschlag als Zeuge erklärt hatte, daß die Justizvollzugsanstalt ihm regelmäßig eine Auflistung aller Postkontakte zwischen den Gefangenen und „draußen“ übermittle.

Zu seiner Vorbereitung der Überwachung von Haftbesuchen sei dies wichtig, erläutert der Beamte dem Gericht. Welche Schlußfolgerungen er und seine Kollegen denn aus dieser Übersicht ziehen, will ein Verteidiger wissen. „Das kommt auf die Phantasie des Beamten an“, antwortet der LKA-Mann. So kommt es dann nach Besuchen zu sogenannten Besuchsprotokollen, in denen beispielsweise der Gefangene Erik Prauss gesagt haben soll, “...als ich damals in der RAF kämpfte...“ oder “...möglicherweise bin ich für die Dornier -Sache verantwortlich...“ Wegen der logischen Brüche und den Sinnfehlern in diesen Protokollen hatte der Anwalt überdies deren Beweiswert in Frage gestellt.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte jedoch aus diesen Besuchsüberwachungen längst eigene Schlüsse gezogen und die Konstruktion „Fortsetzung des Kampfes der RAF im Knast“ als erwiesen angesehen. Erik Prauss und Andrea Sievering waren in einem anderen Verfahren im Januar vergangenen Jahres wegen des Anschlags auf Dornier zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Da die Bundesanwälte Luitgard Hornstein ebenso als Mitglied einer „kämpfenden Einheit der RAF“ betrachten, bringen sie diese Protokolle als belastendes Beweismaterial vor. Dabei ficht es die obersten Ankläger nicht an, daß die LKA-Beamten an vielen Stellen den angeblichen Gesprächsverlauf zwischen Gefangenen und Besuchern mit eigenen Vermutungen und Einschätzungen abrundeten. Einem Antrag der Verteidigung, die handschriftlichen Notizen, die sich der Kriminalbeamte bei der Besuchsüberwachung gemacht hat, als Beweismittel einzuführen, gibt der OLG-Senat schließlich statt. Mit der Zeugeneinvernahme von Andrea Sievering wird der Prozeß am kommenden Dienstag fortgesetzt, bevor das Gericht voraussichtlich eine Verfahrenspause von 30 Tagen einlegt.

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