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Käte Steinitz verunsicherte mit Kurt Schwitters Hannover und hatte dort die Avantgarde zu Gast. Im Sprengel-Museum wird ihr in einer Ausstellung gedacht

Choreograf Harald Kreutzberg, umwirbelt von den Tänzerinnen bei einer Probe in Hannovers Staatsoper Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover

Von Bettina Maria Brosowsky

In Los Angeles kommentierte Käte Steinitz distanziert sachlich ihr Schaffen: „Meine Stärke sind rapide Bewegungsskizzen“, notiert sie 1953. Dort hatte sie sich nach der Flucht aus Deutschland schließlich niedergelassen. Steinitz (1889–1975) hatte zu der großen Schar Künst­le­r:in­nen gehört, die politisch als Kulturbolschewistin und aufgrund ihrer jüdischen Familiengeschichte vom NS-Regime verfolgt wurden.

Im April 1936 emigrierte sie mit ihren drei Töchtern nach New York. Ihr Mann, der 1933 seine Tätigkeit als Arzt aufgeben musste, war ein Jahr zuvor dorthin ausgewandert. Mit ihrem Weggang erlosch eine Ära des kulturellen Aufbruchs in Hannover: Die Provinzhauptstadt war kurz ein echtes Zentrum der europäischen Avantgarde geworden. Prägende Akteurin: Käte Steinitz.

Eine große Retrospektive zu ihr gab’s noch nie, obwohl sie nicht ganz vergessen war: Die Hannoversche Allgemeine Zeitung hatte der „Kunst-Käte“ 1969 zum 80. Geburtstag gratuliert. Auch würdigte 2017 die Kurt-Schwitters-Schau „revonnaH“ im Sprengel Museum Steinitz’ Mitarbeit an den Merz-Projekten.

Zudem gilt ihr seit 2023 ein eigenes Kapitel der Ausstellung zur Institutionsgeschichte. Aber erst jetzt präsentiert das Haus anhand von rund 180 Zeichnungen, Malereien, Fotografien, Dokumenten und Skizzenbüchern die ganze Käte Steinitz: Man hat 2018 einen Teilnachlass von über 2.000 Arbeiten aus den USA erhallten. Zu entdecken ist nun der Lebensweg einer interdisziplinär denkenden Frau, Künstlerin, Fotografin, Autorin und Wissenschaftlerin, einer weltoffenen Gastgeberin und Netzwerkerin.

Steinitz wurde als Käte Traumann in eine wohlhabende Familie im heutigen Polen geboren. Auf einem Familienfoto als Teenager ist sie bereits mit einem Fotoapparat zu sehen. In Berlin erhielt sie künstlerischen Privatunterricht bei Käthe Kollwitz und Lovis Corinth.

Auch besuchte sie kunsthistorische Vorlesungen bei Heinrich Wölfflin, der eine vergleichende Kunstbetrachtung anhand stilistischer Merkmale propagierte. Frühe Zeichnungen und Holzschnitte zeigen bereits einen sicheren Strich in der Erfassung von Körperkonturen und Volumen.

Nach Auflösung des gemeinsamen Verlags riss sich Kurt Schwitters die Texte unter den Nagel

Klar umrissene, reduzierte Formen sind auch später noch ein Charakteristikum ihres Werkes, das stets gegenständlich bleibt. Sie studiert in Paris, heiratet 1913 Ernst Steinitz und zieht mit ihm 1917 nach Hannover. Hier begann ihre „echte künstlerische Erziehung“, in einer Stadt, in der „alle Ismen“ der Moderne vor der Tür standen, so Steinitz später. Trotz der „zeitverschlingenden Trivialitäten“ als dreifache Mutter und Ehefrau fand sie Zeit für „Eskapaden im fruchtbar erfrischenden Land des Unsinns, der Phantasie“ – im Malen und Experimentieren. An einer Ausstellung beteiligt sich Steinitz erstmals 1919, eine Einzelpräsentation folgt 1922 in Berlin. So beginnt eine rege Ausstellungstätigkeit mit internationalem Radius, 1926 ist sie mit zwei Aquarellen sogar in den USA vertreten: Steinitz war bis 1933 eine öffentlich präsente Künstlerin.

Die Wohnung des Ehepaars mit modernem Stahlrohrmobiliar wird zum Treffpunkt Kunstschaffender. Hannah Höch, Theo van Doesburg, László Moholy-Nagy, El Lissitzky gestalteten Einträge im Gästebuch. Und Steinitz erprobt ungewohnte Techniken.

So ringt sie der folkloristischen Hinterglasmalerei intensive Bilder ab. Als Sujet dient ihr oft die Bühne: Sie hielt Josephine Bakers freizügige Tanzperformances in einer Simultandarstellung der Bewegungen fest, den Choreografen Harald Kreutzberg besuchte sie bei Proben.

Neues Sehen: Eine Qualle hängt im Gestrüpp am Strand, amorphe Masse trifft auf astige Struktur. „Im Watt“, 1930 Foto: Käthe Steinitz/Sprengel Museum

Mithilfe reflektierender Silberbronze und Gouache auf Papier gebannt, strahlen die Körper der Tanzenden eine flirrende Stimmung aus. In den späten 1920ern greift sie dann vermehrt zur Kamera. Porträts, Naturaufnahmen oder Straßenszenen sind der Bewegung des Neuen Sehens verpflichtet.

Mit Kurt Schwitters, dem aktivistischen Bürgerschreck Hannovers und Erfinder der Merz-Kunst, verband sie eine oft spannungsreiche Zusammenarbeit. Der gemeinsame Verlag Apos & Merz für Märchen und moderne Architektur ist, 1924 gegründet, 1925 pleite. Schwitters riss sich die Druckprodukte unter den Nagel. Beide schufen das Opernlibretto „Der Zusammenstoß“, 1927 prämiert, erst nach beider Tod uraufgeführt – ohne Erwähnung von Steinitz’ Mitautorschaft. Schwitters bekrittelte Steinitz’ journalistische wie dichterische „Schreiberei“. Sie bezeichnete ihn als „Oberlehrer“.

Blaue Kleider, blonde Haare: Einen Eisstand, möglicherweise auf der Weltausstellung, malte Käte Steinitz in New York Foto: Herling/Herling/Werner/Sprengel Museum

Dennoch: Die drei Töchter erhielten bei ihm wohl nicht ganz ernst gemeinten Sprachunterricht. Schließlich verfocht er die französische Aussprache, selbst bei so urdeutschen Worten wie Entenfang. Und er schenkte ihnen das nur wenige Zentimeter messende „Kleinste Merzbild der Welt“ für die Puppenstube.

Schnell fand sich Steinitz in New York zurecht. Ihre Skizzen kommentierte sie in Englisch, fotografierte Architektur. Nach Los Angeles zog sie 1944. Dort traf sie auch auf die aus Braunschweig emigrierte Kunstagentin Galka Scheyer und deren Entourage.

Steinitz publizierte als Kunsthistorikerin zu Leonardo da Vinci, arbeitete als Kuratorin, übernahm Lehrtätigkeiten. In Reiseskizzen fing sie die exotischen Wüstenlandschaften New Mexicos ein. Ab 1951 besuchte sie gelegentlich auch Hannover. Ein nach ihr benannter Preis für künstlerische Kollaboration soll hier 2026 erstmals vergeben werden.

Käte Steinitz: Von Hannover nach Los Angeles, Sprengel Museum Hannover. Bis 25. Januar 2026. Katalog von Pauline Behrmann, Hirmer Verlag, 216 S., 40 Euro

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